Die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang in der Nordeifel ist mit rund 100 Hektar Fläche eines der ausgedehntesten, weitgehend erhaltenen Bauensembles aus der NS-Zeit. Wie die meisten der sogenannten NS-Großanlagen wurde Vogelsang nicht fertiggestellt. Teils waren hier beträchtliche Aus- und Erweiterungsbauten nur geplant, teils wurden sie tatsächlich begonnen. Doch auch ohne dass diese monumentalen Ausbauphantasien verwirklicht worden wären, ist die als Herrschaftsarchitektur in die Landschaft der Eifel modellierte Schulungsanlage für politische Funktionäre als Propagandaplattform und beeindruckende »Bühne« der Selbstdarstellung der NSDAP zu lesen: Die Ideologie ist hier in den Raum eingeschrieben, und bis heute zeugt Vogelsang von der Hybris der Nationalsozialisten, von ihrer Selbsterhöhung, von ihrem umfassenden Herrschafts- und Machtanspruch. Die ehemalige NS-Ordensburg – eine ab 1934 erbaute und nie fertiggestellte Pseudoburg, die zwischen 1936 und 1939 als Schulungsstätte für künftige NSDAP-Kader diente und von circa 1.500 jungen Männern, sogenannten »Ordensjunkern« besucht worden war – ist ein sozusagen vom Nationalsozialismus kontaminiertes Gelände.
Ein zentrales Element der landschaftsprägenden Architektur des weithin sichtbaren Bauwerks, für die der Kölner Architekt Clemens Klotz verantwortlich zeichnete, ist die 1936 fertig gestellte Freilichtbühne. Zentral im Hang der Anlage über den Sportstätten samt Tribünen und unterhalb der Unterkunftshäuser platziert, entspricht sie den Vorgaben, die der 1933 unter dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gegründete »Reichsbund für deutsche Freilicht- und Volksschauspiele« für die Errichtung von reichsweit 400 »Thingstätten« definiert hatte: Ausrichtung nach Norden und Einbettung in eine landschaftlich beeindruckende Lage, im Halbkreis ansteigende Zuschauerränge sowie Quergänge für Auf- und Abmärsche usw. Die von Klotz geschaffene steinerne amphitheatralische Tribüne direkt oberhalb der Spielebene wies allein 800 Sitzplätze auf.
Wurde die Vogelsanger Freilichtbühne während ihrer Errichtung noch als »Thingstätte« bezeichnet, so findet sich in den Quellen ab 1936 die Bezeichnung als »Feierstätte«. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die »Thingbewegung« als Propagandamittel des NS-Staates zum Zeitpunkt der Eröffnung der »Ordensburg« bereits wieder ausgedient und sich gerade Joseph Goebbels‘ Haltung zum vermeintlich germanischen »Thingspiel« ins Negative gewandelt hatte, war der nebulös-mythische Charakter der Veranstaltungen doch schlichtweg peinlich, sodass die offizielle Verwendung des Begriffes »Thing« schon im Oktober 1935 wieder untersagt worden war.
Gleichwohl verdeutlicht die in Vogelsang errichtete Freilichtbühne die beabsichtigte Funktion, als monumentaler Versammlungsort dem emotionalen Gemeinschaftserlebnis der rassistisch, ethnisch-homogen gedachten NS-»Volksgemeinschaft« zu dienen. Sie wurde nie als »Thingstätte« genutzt, sondern sie diente als multifunktionale Freilichtbühne. Auf ihr wurden vor allem Feierstunden des politischen Kultes mit dem Ziel ersatzreligiöser Sinnstiftung ausgerichtet, zumal deren Gestaltung in Vogelsang integrierender Bestandteil der ideologischen Schulung der dortigen Lehrgangsteilnehmer – der sogenannten »Ordensjunker« – war. Der nationalsozialistische Helden- und Totenkult war nicht nur zentrales Thema des realisierten wie des geplanten Bildprogramms und des politischen Kultes in Vogelsang, sondern er war als Bezugspunkt des nationalsozialistischen Konzepts der Züchtung eines »Neuen Menschen« auch Teil der ideologischen Lehrinhalte und der konkreten Praxis in der »Ordensburg«. Gerade die Erinnerung an die »Helden« der NS-Bewegung und die Aufgabe der Formierung einer ethnisch homogen gedachten, neuen, geschlossenen und entschlossenen Gemeinschaft, die sich ihres Sendungs- und Herrschaftsauftrags bewusst sein sollte, waren neben ideologischen Vorlesungen und körperlichem Drill Gegenstand der vielen politisch-rituellen Feiern, die in Vogelsang, sozusagen einem Kult-Ort, stattfanden. Dies verdeutlicht das eigentliche Ziel der Schulung in Vogelsang: Es ging um die Inszenierung eines männlich-heroischen, aktivistischen und opfer- wie einsatzbereiten Menschenbildes mit dem Ziel, eine dauerhafte völkisch-rassistische Herrschaftsordnung zu begründen.
Vogelsang erzählt uns heute somit auf den ersten Blick nicht von Menschen, die von Deutschen zu Opfern gemacht wurden, sondern von NS-Aktivisten und Mitläufern, von Tätern und Mittätern, zu denen zahlreiche ehemalige Ordensburgmänner wurden. Folglich wird Vogelsang zu den »Täterorten« der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gezählt. Orte wie Vogelsang haben zur »fatalen Attraktion« des Nationalsozialismus, zur Selbstmobilisierung vieler Menschen für das NS-Regime beigetragen und so eine herrschaftsstabilisierende Rolle gespielt. Zu den Funktionsmechanismen des Nationalsozialismus zählten neben radikaler Ausgrenzung, Terror und Gewalt auch mobilisierende ›Angebote‹ zu Teilhabe, Zugehörigkeit und Identifikation, wie es auch die Nutzung der Freilichtbühne in Vogelsang in der NS-Zeit verdeutlichen kann. ›Angebote‹ wie das – heute wieder gefragte – menschenverachtende Bild einer völkisch-rassistischen, ethnisch homogen gedachten »Volksgemeinschaft« und das des sich über andere erhebenden »Herrenmenschen«.
Literatur:
Petra Leser: Der Kölner Architekt Clemens Klotz (1886–1969), Köln 1991.
Klaus Ring/Stefan Wunsch (Hg.): Bestimmung: Herrenmensch. NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen, Dresden 2016.
Ruth Schmitz-Ehmke/Monika Herzog: Die ehemalige Ordensburg Vogelsang. Architektur, Bauplastik, Ausstattung, Umnutzung, 4. Aufl. Worms 2010.
Rainer Stommer: Die inszenierte Volksgemeinschaft. Die »Thing-Bewegung« im Dritten Reich, Marburg 1985.
Helmut Weihsmann: Bauen unterm Hakenkreuz. Architektur des Untergangs, Wien 1998.
Das „Reichserntedankfest“ auf dem Bückeberg bei Hameln war eines der drei größten Massenfeste der Nationalsozialisten[1]. Das Fest hatte den Rang eines Staatsaktes und besaß einen festen Platz im NS-Festkalender. Seine Bedeutung liegt in seinem Beitrag zu der Propagierung des Führerkultes, der Formierung von „Volksgemeinschaft“ und – mit dem Fest war eine Übung der Reichswehr verbunden – der Vorbereitung der Menschen auf den Krieg. Die Bedeutung, welche diese als Fest getarnte Propagandaveranstaltung in der NS-Zeit hatte, wird bis heute in der Fachwissenschaft[2] und noch mehr in der Öffentlichkeit unterschätzt.
Idee, Planung und Organisation des Festes[3] lagen bei Goebbels. Der Propagandaminister plante und gestaltete das Fest – als ein Instrument der Propaganda. Landwirtschaftsminister und Reichsbauernführer Darré hatte mit der Planung und Gestaltung dieser als „Bauernfest“ inszenierten Veranstaltung nichts zu tun.
Nachdem der 1. Mai, der Kampftag der Arbeiterbewegung, der bis 1933 kein Feiertag war, in einer Mischung von brutaler Gewalt und Verführung in den „Tag der nationalen Arbeit“, das höchste Fest der „Volksgemeinschaft“, umgewandelt worden war, sollten auch die Bauern als „Reichsnährstand“ in den NS-Staat eingegliedert werden. Bei den Bauern konnte Hitler auf Gewalt verzichten; er wählte allein den Weg der Verführung. Über eine große Ehrung, ein riesiges Fest, sollten sie an das Regime gebunden werden. Die Erhebung des Erntedanktages zum nationalen Feiertag ist Teil des Prozesses der Machtübernahme, der die Nationalsozialisten in den Besitz der totalen Herrschaft bringen sollte.
Auswahl und Gestaltung des Festplatzes
Wochen vergingen im Sommer 1933 mit der Suche nach einem geeigneten Festplatz. Der Ort des Festes sollte Niedersachsen sein, das angeblich urdeutsche Germanenland voll heiliger Eichen, zwischen denen der Geist Widukinds schwebte, und an der Weser – „deutsch von der Quelle bis zur Mündung“ – liegen. Daneben musste der Platz über gute Bahnverbindungen verfügen, um große Massen von Menschen transportieren zu können. Das traf damals in vorzüglicher Weise auf Hameln zu. Die günstige Neigung des Bückeberges und die Tatsache, dass es sich bei dem Gelände um Domänenland handelte, über das ohne Probleme verfügt werden konnte, gaben schließlich den Ausschlag.
Die Wahl des Ortes hatte also vor allem praktische Gründe. Um die Verbindung mit der „Scholle“ und der germanischen Gesichte herzustellen, wurde der Ort nachträglich mythisch aufgeladen. Der Berg war ein geheimnisvoller „Hel“, in dessen Nähe angeblich die Germanenkämpfe gegen Karl den Großen, aber auch die Varusschlacht einst stattfanden, die Gegend zudem Heimat des zum Märtyrer stilisierten Horst Wessel.
Nach Anweisungen von Goebbels, der „ein bäuerliches Volksfest bisher ungeahnten Ausmaßes in der freien Natur“[4] inszeniert haben wollte, schuf Albert Speer den riesigen Festplatz. Speer übertrug Gestaltungselemente, die er am 1. Mai 1933 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin zum ersten Mal eingesetzt hatte, auf den Bückeberg.
Er setzte sie dann seit 1934 erneut beim Appell von SA und SS in der Luitpoldarena in Nürnberg anlässlich der Reichsparteitage ein. Als Festplatz diente ein großer, in den Jahren 1933-1937 immer perfekter planierter Bergabhang mit Blick auf die Weser, das Rattenfängerstädtchen Hameln und eine liebliche Hügellandschaft. Ein mehrfacher Fahnenring in Form eines langgezogenen Hufeisens umschloss die bis zu einer Million Teilnehmer. Wie in einem riesigen Freilufttheater standen diese auf dem geneigten Hang des Berges.[5]
Speer ließ zwei Tribünen errichten, eine größere auf der Höhe des Berghanges für ca. 3.000 geladene Ehrengäste mit einem gewaltigen vorgelagerten „Erntealtar“. Die zweite Tribüne – von den Organisatoren „Pyramide“ oder „Rednerkanzel“ genannt – stand am Fuße des Berges. Sie war von seitlich angeordneten, übergroßen Fahnentüchern flankiert und bildete gleichsam die Bühne des Freilufttheaters. Die untere Tribüne war Hitler und seinem engsten Gefolge vorbehalten. Beide Tribünen verband ein ca. 800 Meter langer, aufsteigender Weg, welcher der Länge nach mitten durch den Festplatz und die Teilnehmermassen lief. Diese wenigen Elemente waren für die Platzgestaltung und die Festinszenierung bestimmend. Die Tribünen waren aus rohem Holz, die Dekorationen handgefertigt, „bäuerlich“, „natürlich“. Ebenso bestanden die Fahnenmasten, die den Festplatz umschlossen und nach jedem Fest abgebaut wurden, aus rohen Fichtenstämmen.
Die von Speer entworfene Gestaltung der riesenhaften Fläche war im Sinne der Vorgaben, die Goebbels gemacht hatte, bewusst schlicht gehalten. Ihm war die Harmonie mit der lieblichen Landschaft des Wesertales wichtig. Ihr mussten sich alle gestalterischen Elemente unterordnen. So fehlte dem Gelände des Reichserntedankfestes das Monumentale der Architektur der Reichsparteitage von Nürnberg. Während die Massen der Festteilnehmer den Platz über große Treppen von den Seiten her betraten, war der Mittelweg oder „Führerweg“ einem Laufsteg gleich Hitler und seinem Gefolge vorbehalten. Hier vollzog sich sein „Weg durchs Volk“.
Das Konzept der Volksgemeinschaft schreibt Hitler eine doppelte Rolle zu, einerseits Teil des Volkes, andererseits „Führer“ zu sein. Diese Doppelrolle ist konstitutiv für die Regie des Festes. In den bedeutungsschwangeren Worten des Regierungsrates im Reichspropagandaministerium Leopold Gutterer, der im Auftrage von Goebbels das Fest organisierte, drückte sich das folgendermaßen aus: „Symbolhaft sei es, wenn der Führer vom Fuße des Berges aus den Volksmassen empor zur Bergeshöhe steige. Denn aus dem Volk sei er auch zur Spitze der Nation emporgestiegen. Gleich wie er aber von der Höhe des Bückeberges wieder zurückschreiten und im Volke untertauchen werde, so suche und finde er auch als Führer und Reichskanzler immer wieder die Verbindung mit seinem Volk.“[6]
Hitler hatte das in seiner Rede auf dem Bückeberg 1935 selbst folgendermaßen formuliert: „Wo ist das Staatsoberhaupt, das so durch euch hindurchgehen kann, wie ich durch euch hindurchgehe?“[7]
Wenn Hitler dagegen zum Ende des Festes zu den Massen redete, stand er – umgeben von SA – den Menschen gegenüber, war er Autorität, „Führer“. Um „Respektsdistanz“ zu schaffen, war die Rednertribüne dafür eigens weit in die Ebene hinaus gerückt.
Mit wenigen Elementen hatte Speer einen Raum geschaffen, der zentrale religiöse Merkmale hatte.
– Fahnen umstellten den Raum und schlossen die Versammelten zur „Gemeinde“ zusammen.
– Lieder wurden gesungen, um das Gemeinschaftsgefühl zu steigern.
– Ein „Altar“ für die Erntegaben war errichtet.
– Auf dem zentralen Weg näherte sich der Heilsbringer den Versammelten. Für seine „Predigt“ gab es eine gigantische „Führerkanzel“.
– An seine Ansprache schloss sich ein Bekenntnis an, danach mit Deutschland- und Horst-Wessel-Lied ein abschließender Gesang.
Bei der Festgestaltung finden sich wesentliche Anleihen aus der christlichen Tradition. Der Bückeberg wurde zum Wallfahrtsort, der Führer – zum Erlöser.
Der Besucher des Platzes nimmt in der Regel nicht wahr, in welch enormem Umfang am Bückeberg gebaut worden ist, wie wenig „natürlich“ der Platz ist. Der Festplatz ist „gebaute Natur“. Nachdem Goebbels bald nach dem ersten Fest den Bückeberg auch für die Zukunft zum Ort des Reichserntedankfestes bestimmt hatte, entstanden Anfang 1934 in der näheren Umgebung drei Lager des Arbeitsdienstes, in denen ständig 450 Männer untergebracht waren, kurz vor dem Fest 1500. Sie schufen bis 1937 vorrangig in Handarbeit, aber auch mit dem Einsatz modernster Technik, die absolut ebenmäßige Neigung des Berges, vergrößerten den Platz in der Breite, legten Wasserleitungen, Stromkabel und eine Drainage.
Auch die eigentlichen Festvorbereitungen lagen in den Händen des Arbeitsdienstes. Arbeitsdienstmänner bauten riesige Zeltstädte, richteten 1000 Fahnenmasten auf, schmückten die Tribünen und Kolonnenwege, bauten Pontonbrücken und legten Parkplätze an.
Der Ablauf des Festes
Das erste Fest fand nach überaus kurzer Vorbereitung am 1. Oktober 1933 statt. Es begann am späten Nachmittag. Als Hitler seine Rede hielt, war es bereits dunkel geworden. Weil der Abmarsch der Teilnehmer zu den Bahnhöfen sich in der Dunkelheit überaus chaotisch gestaltete, verlegten die Organisatoren das Fest 1934 in den Nachmittag. Seit 1935 fand es dann in den Mittagsstunden statt.
Das Programm der Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln blieb über die Jahre in den Grundzügen gleich. Eine wesentliche Änderung erfuhr allein die Übung der Reichswehr, die sich von einer Reiterübung zu einer Militärshow großen Stils entwickelte (dazu s.u.). Das Programm begann (seit 1935) früh morgens mit dem „Aufmarsch“ der Teilnehmer auf dem riesigen Festplatz und einem begleitenden Vorprogramm. Es folgten nach Stunden in der Mittagszeit Hitlers Eintreffen und sein triumphaler Weg durch die wartenden Teilnehmer hinauf auf die Ehrentribüne an der Spitze des Berges. Dort wurde dem „Führer“ in einer kurzen Szene ein Band der Erntekrone überreicht.
Mit Truppenvorführungen, einer großen Manöverschau, die in der weiten Ebene nördlich des Berghanges stattfand, begann das Hauptprogramm. Nachdem Hitler und sein Gefolge den Berg wieder hinabgegangen waren, folgten die Reden, zuerst die Darrés, des Reichsbauernführers und Landwirtschaftsministers, und dann die Hitlers. Beide sprachen von der unteren Tribüne aus. Mit dem gemeinsamen Singen von Deutschland- und Horst-Wessel-Lied war das Fest bei einer Dauer von zwei bis drei Stunden beendet. Während Hitler anschließend 1935 und 1936 zum Reichsbauerntag nach Goslar fuhr, traten die Massen der Teilnehmer die Heimfahrt an.
Die Teilnehmenden
Es waren längst nicht nur Bauern, die das Fest besuchten, sondern auch zahlreiche Städter. Die Menschen kamen, weil sie Hitler erleben und seine Reden, aber auch das gesamte Fest als eine Art Volksvergnügen „genießen“ wollten. Die Aufrufe zum Fest richteten sich ausdrücklich an die gesamte Bevölkerung. Sonderzüge zum Fest kamen – als Beleg der reichsweiteren Begeisterung – unter anderem aus Königsberg und Passau, der größere Teil allerdings aus den Regionen rings um den Bückeberg. Im Gegensatz zum übrigen Reichsgebiet sollte es deswegen hier keine örtlichen Erntedankfeste geben. Das hätte möglicherweise der Massenmobilisierung geschadet.
Das Fest konnte sich tatsächlich vor Besuchern kaum retten. Als das Fest am 1. Oktober 1933 zum ersten Male gefeiert wurde, erwarteten die Organisatoren 300.000 Menschen; es kamen 500.000. Der Erfolg des Festes lässt sich an den ständig wachsenden Teilnehmerzahlen ablesen. Der Besucherandrang übertraf von Jahr zu Jahr die Erwartungen. 1937, im letzten Jahr des Festes, überstieg er die Millionengrenze (die offiziellen Zahlen sprechen von 1,2 Millionen Teilnehmern).[8] Die Reichserntedankfeste waren damit neben den Reichsparteitagen in Nürnberg und der Feier des 1. Mai in Berlin das größte regelmäßig stattfindende Fest des Dritten Reiches.
Im Unterschied zu den Reichsparteitagen in Nürnberg, in denen sich eine männlich dominierte, militärisch ausgerichtete Führerpartei in einer Einschüchterungsarchitektur präsentierte, gab sich das Erntedankfest als Volksfest, als Fest der „Volksgemeinschaft“, zu dem Bauern und Städter, Männer, Frauen und Kinder aus dem ganzen Reich anreisten. Jüngste Forschungen zur Teilnahme lippischer Ortsgruppen der NSDAP haben ergeben, dass unter den Teilnehmern des Festes Bauern und Parteimitglieder in der Minderheit waren.[9]
Die Menschen waren bei diesem Fest keine Zuschauer, sondern erfuhren sich als Teil der Inszenierung. Bestimmend waren
– das Erlebnis der „Gemeinschaft“[10] bei der Anreise und der Unterbringung im Zelt
– der Blick auf die „endlosen Kolonnen, die wohlgeordnet im Gleichschritt dem Festgelände zustrebten“
– das Bild der „größeren Gemeinschaft“, der Anblick „der wogenden Menschenmassen“ auf dem Festplatz
– das „gemeinschaftliche Warten“
– die gewaltige Wirkung des suggestiven Rausches und der Begeisterung beim Erscheinen des Führers und seinem „Weg durchs Volk“
– die Erfahrung schließlich der einen Autorität, des „einen Willens“, verkörpert in der Gestalt des „Führers“ während seiner Ansprache.
Die Zielsetzung des Festes
Goebbels[11] in seinem Tagebuch über das Fest des Jahres 1936: „Und dann Bückeberg. Ein ergreifender Zug den Berg herauf. Die Bauersleute umarmen ihn fast. Er ist unser aller Abgott.“
Für das Jahr 1935 berichtete Goebbels[12], dass Hitler auf seiner Fahrt im offenen Auto vom Bückeberg, dem Ort der Erntedankfeste, nach Goslar, der sog. Reichsbauernstadt, über 100 km durch eine kaum unterbrochene Kette jubelnder Menschen fuhr. Eine Bäuerin[13] aus dem evangelisch geprägten Bückeburger Land nördlich von Hameln, die ihrem 17jährigen Enkel einen Eindruck von dem Geschehen auf dem Bückeberg geben wollte, formulierte: „Wenn er (Hitler) an dir vorbeigeht, ist es, als wenn Jesus einen anguckt.“ Eine andere Zeitzeugin:[14] „Der gab mir also die Hand, und ich habe mir drei Tage danach die Hand nicht gewaschen. Ein unerhörtes Erlebnis.“ Ein verzückter thüringischer Kirchenrat:[15] „Christus ist zu uns gekommen durch Adolf Hitler!“
Im irrationalen Weltbild des Nationalsozialismus gab es zwei zentrale Leitbegriffe, die „Volksgemeinschaft“ und den vom Volk als Erlöser und Retter erwarteten „Führer“. Die Sehnsucht nach Auflösung der Begrenzungen, nach Verschmelzung der Klassen machte die Faszination der „Volksgemeinschaft“ aus. Der Begriff war vage, aber – zumindest für einen Großteil der wirtschaftlich bedrängten Schichten, zu denen viele Bauern gehörten – verheißungsvoll. Am Bückeberg – so die Aussage der Propaganda – feierte das gesamte Reich, die gesamte Bevölkerung. Das im Fest hergestellte Bild hieß „Volksgemeinschaft“.
Wenn Hitler – begleitet vom Badenweiler Marsch – auf dem sog. „Führerweg“ durch die Massen den Bückeberg hinaufstieg, dann befanden sich die Menschen in einem Zustand des Rausches. Die Inszenierung erlaubte ein lustvolles Aufgeben der Selbstkontrolle, einen Rausch, der alle Sinne umfasste. Sie befriedigte Hingabewünsche und Allmachtsphantasien. Das Fest fand sein letztes und wichtigstes Ziel in der engen Verschränkung und Verschmelzung von Volk und Führer. Im Fest gelang die letzte Steigerung des Führer-Mythos. Eine große Zahl von Deutschen sah Hitler positiv, viele verehrten, ja liebten ihn. Das Bückebergfest gehört in die Erfolgsgeschichte des Dritten Reiches. Wir blicken hier auf den von den Nationalsozialisten geschaffenen „schönen Schein“[16] der Dekorationen, Fahnenumzüge und Inszenierungen, auf jene Seite des Systems, die Gewalt mit Schönheit, Macht mit ästhetischer Verführung verbindet. Wir können in der Inszenierung des Festes Gründe ausmachen, warum breite Teile der Bevölkerung freiwillig eine Diktatur unterstützten und bis zum bitteren Ende an Hitler glaubten. Bei einem großen Fest sind die Menschen Objekte einer gezielten, wohlüberlegten Regie. Die Selbstdarstellungen des Regimes und der Partei waren beeindruckende, faszinierende und einschüchternde Veranstaltungen, die es in dieser Perfektion noch nicht gegeben hatte.
Dem Regime gelang es vor allem durch seine Feste, Menschen zu begeistern und Gläubigkeit und Opferbereitschaft zu wecken. Die Bereitschaft zur Zustimmung, die Bereitschaft, sich verführen zu lassen, war groß. Wie durch ein Brennglas macht das Fest auf dem Bückeberg deutlich, dass und wie es Hitler gelungen ist, sich der Zustimmung großer Teile der Bevölkerung zu vergewissern. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass es damals auch Menschen gab, die sich dem Spektakel auf dem Bückeberg entzogen. Sie wussten um den Terror des Regimes, spürten die Gefahr der Suggestion[17], der soghaften Anziehung, die einem solchen Massenfest innewohnt, und blieben der Veranstaltung fern.
Das Reichserntedankfest als Instrument der Kriegspropaganda
Das Reichserntedankfest sollte vor allem die Bauern ansprechen. Es griff geschickt bäuerliche Gefühle auf, Sehnsüchte nach der heilen Welt des Dorfes und des heimischen Brauchtums. Viele Bauern kamen in Tracht zum Fest und standen längs des Mittelweges Spalier. Im Festablauf selbst spielten die Bauern und der Erntedank aber keine Rolle. Neben dem „Weg durchs Volk“ und Hitlers Rede war der wichtigste Programmbestandteil des Festes erstaunlicherweise eine große Militärschau. 1933 und 1934 war das noch eine bescheidene Reiterübung gewesen. Seit 1935 fanden ausgedehnte Gefechtsübungen statt, bei denen die neuen Tanks und Bombenflugzeuge eingesetzt wurden. Als Kampfplatz diente das eigens errichtete „Bückedorf“.
1937 gab es ein realistisch inszeniertes Gefecht mit dem Einsatz von über 10.000 Mann. Tanks und Bombenflugzeuge kamen zum Einsatz, eine Weserbrücke wurde von den Fliegern vernichtet; das von Pionieren aus Holzlatten und großen Tüchern errichtete „Bückedorf“ ging im Feuer der Artillerie in Flammen auf. Die Idylle des Erntebrauchs erstarb im Rasseln der Panzerketten. Die heimische Zeitung sprach schon fast hellseherisch von der „Schlacht der Zukunft“.[18]
Macht man Zeitzeugen darauf aufmerksam, dass das Fest im Widerspruch zu seinem Thema der Kriegsvorbereitung diente, so wird das häufig ärgerlich abgelehnt.[19] In der Erinnerung ist beides – das Gemeinschaftserlebnis des Festes und die Kriegsvorbereitung – strikt getrennt. Tatsächlich gehörte beides zusammen, bildete die beiden Seiten eines politischen Projekts.
Das Fest des Jahres 1938 wurde am 30. September, zwei Tage vor dem Termin, abgesagt. Eine kleine Zeitungsnotiz nannte als Grund die „Inanspruchnahme der Transportmittel“[20]. Die Sonderzüge, die 1938 das Ziel Bückeberg hatten, wurden in Richtung tschechische Grenze gelenkt und mit Soldaten belegt. Das während der Militärschau in Flammen aufgehende „Bückedorf“ wurde nun schreckliche Realität: in Polen, in Frankreich, in Russland – und in Deutschland.
Das Reichserntedankfest als Ort symbolischer Gewalt
Beim Fest feierte die Volksgemeinschaft sich selbst und war ganz bei sich. Während die offizielle Rhetorik die Einheit des Volkes in den Mittelpunkt stellte, machten die Parteigenossen vor Ort unmissverständlich klar, wer in keinem Fall zur Volksgemeinschaft zählen sollte. Der Kreispropagandaleiter Hannover-Land schrieb 1933 wenige Tage vor dem Fest: „Erwarten will ich, dass aus dem Kreise Hannover-Land sämtliche Züge mit 1200 Personen besetzt werden. Zu Hause dürfen nur Lahme, Gebrechliche, Faule, Träge und staatsverneinende Elemente bleiben.“[21]
Vom Begriff der „Volksgemeinschaft“ her lassen sich auch die Gruppen beschreiben, die, z.B. aus rassischen Gründen, ausgeschlossen waren und dem Fest fernzubleiben hatten. Dem Leitbild physischer Vollkommenheit und Überlegenheit des „nordischen Herren-Menschen“ standen die Ausgegrenzten gegenüber, die Juden und Homosexuellen, die Geisteskranken und Gewohnheitsverbrecher, die Kommunisten und „Zigeuner“. Seit 1933, vermehrt aber im Krieg führte das Regime einen wilden Krieg gegen diese Gruppen. Das Fest war ein gewaltsamer Versuch, die von den Nationalsozialisten tatsächlich tief gespaltene Gesellschaft durch die symbolische Aufrichtung von „Volksgemeinschaft“ zu versöhnen.
In Hameln, der Stadt, die damals zum „Nürnberg des Nordens“[22] werden möchte, wurden regelmäßig wenige Tage vor jedem Fest die Funktionäre der verbotenen Sozialdemokraten in „Schutzhaft“ genommen. Gegen Mitglieder der „Ernsten Bibelforscher“ (Zeugen Jehovas), die sich geweigert hatten, ihre Häuser für den Empfang Hitlers zu schmücken, lagen Anzeigen und Denunziationen vor. Vom Sanitätsdienst waren Ärzte jüdischer Herkunft ausgeschlossen. 1933 verwehrten die Organisatoren jüdischen Geschäftsinhabern an den Festtagen die Öffnung ihrer Läden.[23] Wegen der massiven Arisierungsmaßnahmen in Hameln hatte sich dieses „Problem“ bereits 1934 erledigt.
1936 hatten die Pioniere der Wehrmacht im Bückedorf einen Friedhof mit Grabsteinen errichtet. Darüber heißt es in der Hamelner Deister- und Weserzeitung: „Ein neues Dorf – und schon Tote? Ach, es waren sicherlich keine Einwohner von Bückedorf. Sie waren ortsfremd, ja sie waren landfremd, sie gehörten nie zu uns. Und die Kreuze, die man ihnen setzte, waren zuviel des kirchlichen Segens; denn ihre Namen lauteten: Thälmann, Rosa Luxemburg … na, und so weiter!“[24]
Zum Fest als Ort der Integration und der „Zustimmung zur Welt“ gehörte immer auch die potentielle Ausgrenzung der Nichtkonformen. Kitschiger Gemeinschaftsidylle stand aggressives Vorgehen gegen „Volksfeinde“ und „Gemeinschaftsfremde“ gegenüber. Auch das fröhliche Volksfest am Bückeberg war letztlich ein Ort symbolischer Gewalt. Das Fest hatte seine Funktion in der Formierung von „Volksgemeinschaft“. Es hat die Menschen für den kommenden Krieg bereit gemacht. An einem Ort wie dem Bückeberg begann die Geschichte von Verführung, Verblendung, Fanatismus und Hitlergläubigkeit bis zum letzten.
Der Dokumentations- und Lernort Bückeberg wurde am 24. November 2021 eingeweiht. Neun durch gemähte Wege verbundene Informationsinseln mit zahlreichen Bild-Texttafeln machen den Ablauf der Massenkundgebung verständlich und das umfangreiche Gelände lesbar. Der südliche Einstieg in das stark abfallende Gelände ist barrierearm gestaltet. Ein Steg über den Fundamentresten der ehemaligen „Ehrentribüne“ bietet eine Zusammenfassung der im Gelände verteilten Tafeln und einen Überblick über den Hang.
Bernhard Gelderblom, bis 2006 als Geschichtslehrer am Albert-Einstein-Gymnasium in Hameln tätig, hat sich intensiv mit der jüdischen und NS-Geschichte der Region beschäftigt.
Ausgewählte Literatur
Anette Blaschke, Die Reichserntedankfeste vor Ort. Auf der „Hinterbühne“ einer nationalsozialistischen Masseninszenierung, in: Dietmar von Reeken und Malte Thießen, „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis. Neue Forschungen zur NS-Gesellschaft vor Ort, Paderborn, München, Wien, Zürich 2013, S. 125-141
Bernhard Gelderblom, Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg 1933-1937, Hameln 1998 (dritte, unveränderte Auflage, Hameln 2012)
Ders., Die NS-Erntedankfeste auf dem Bückeberg als Inszenierung von Führerkult und NS-Volksgemeinschaft, in: Erntedank und „Blut und Boden“. Bückeberg/Hameln und Goslar 1933 bis 1938. NS-Rassekult und die Widerrede von Kirchengemeinden, hrsg. von Spurensuche Harzregion e.V., Spuren Harzer Zeitgeschichte Sonderband 2, Clausthal-Zellerfeld 2009, S. 32-40
Frances Livings, Ephemere Kulträume. Raum und Material nationalsozialistischer Masseninszenierungen 1933-1939 (Diss. Hamburg), Hamburg 2003
Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.), Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln. Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung, Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 36, Hameln 2010
[1] Neben der Feier des 1. Mai in Berlin und den Reichsparteitagen in Nürnberg
[2] Eine angemessene Würdigung findet das Fest bei Hans-Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt, Berlin 1998, und Peter Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches, Frankfurt 1996
[3] Quellen zum Fest aus dem Reichspropagandaministerium haben sich nicht erhalten. Aus dem Festverlauf selbst und aus der reichen Zeitungsberichterstattung im Völkischen Beobachter und der Hamelner Deister- und Weserzeitung lassen sich aber Rückschlüsse auf die Intentionen ziehen, welche die Veranstalter mit dem Fest verbanden.
[4] Völkischer Beobachter vom 23. September 1933, Deister- und Weserzeitung vom 22. September 1933 und Bernhard Flemes, „Volksfest in freier Landschaft“, Deister- und Weserzeitung vom 19. September 1935
[5] 1934 erhob Goebbels den Bückeberg zum „Reichsthingplatz“.
[8] Verlässliche Zahlen bieten für einen Teilbereich die Zuglaufpläne der Sonderzüge, die sich für den Bahnhof Hameln erhalten haben (Stadtarchiv Hameln).
[9] Lars Lüking, „Die Erntedankfeste auf dem Bückeberg 1933-1937 im Spiegel lippischer Quellen“, in Rosenland. Zeitschrift für lippische Geschichte 14, Juni 2013, S. 9-20, S. 17f
[10] Die Zitate stammen aus den diversen Beschreibungen des Festes in der Hamelner Deister- und Weserzeitung.
[11] Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente, hrsg. von Elke Fröhlich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 2 (1. 1. 1931 – 31. 12. 1936), München, New York, London, Paris 1987, Eintragung zum 5. Oktober 1936, S. 693
[14] Zitiert bei Lothar Steinbach, Ein Volk, ein Reich, ein Glaube? Ehemalige Nationalsozialisten berichten über ihr Leben im Dritten Reich, Bonn 1983, S. 85
[15] Zitiert bei Philipp W. Fabry, Mutmaßungen über Hitler. Urteile von Zeitgenossen, Düsseldorf 1979, S. 105
[16] Peter Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches, Frankfurt 1996
[17] Meisterhaft hat die Gefahr der Suggestion die Niederländerin Tessa de Loo in ihrem Roman „Die Zwillinge“ beschrieben (München 1997, S. 112): Im Herbst rief Hitler die Bauern zum Erntedanktag auf dem Bückeberg bei Hameln zusammen. Onkel Heinrich fuhr hin, weil er trotz allem neugierig war. Danach verfiel er eine Woche lang in grimmiges Schweigen. Vertrauenspersonen waren rar geworden im Dorf, die einzige, der er schließlich von dem Ereignis berichten konnte, war Anna. Aus dem ganzen Land seien Millionen von Bauern zusammengeströmt, erzählte er ihr. In Niedersachsen, dem urdeutschen Germanenland voll heiliger Eichen, zwischen denen der Geist Widukinds schwebte, hatten sie die Straße des Aufmarschs gesäumt, Onkel Heinrich mitten unter ihnen. Er hatte Mein Kampf gelesen, er wußte, daß der Verfasser den Inhalt Wort für Wort in die Praxis umsetzen wollte, er wußte, was für Leute hier ihre Parade abhalten würden. Aber was dann geschah, übertraf seine kühnsten Erwartungen. Die Erscheinung des Führers, von Anfang bis Ende von sorgfältig ausgewählten Künstlern perfekt in Szene gesetzt, übertraf die von Nero, Augustus und Cäsar zusammen. Die Menge jubelte, Lieder wogten durch die Reihen, flammende Begeisterung ergriff die Massen, Hakenkreuzfahnen wehten vor einem violetten Himmel. Einmütige Verehrung wurde dieser einen, magischen Figur entgegengebracht, in deren Händen das Schicksal der ganzen Nation lag. Onkel Heinrich hatte gegen die soghafte Anziehung angekämpft, als wäre er in einen Strudel der Lippe geraten. Nach Atem ringend befreite er sich aus dem gigantischen, wogenden, schreienden Körper und floh. „Sie werden ihm blind folgen“, prophezeite er, „diesem Rattenfänger von Hameln. Bis in den Abgrund.“
[18] Deister- und Weserzeitung vom 3. Oktober 1937
[19] Nur einer der zahlreichen Interviewpartner, die der Verfasser hatte, hat die „Schlacht der Zukunft“ als Fremdkörper wahrgenommen.
[20] Deister- und Weserzeitung vom 30. September 1938
[21] Nds. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann 3101, Nr. 196/2, S. 63
[22] Völkischer Beobachter (Norddeutsche Ausgabe) vom 1. Oktober 1934
[23] Stadtarchiv Hameln Nr. 1000, Verfügung vom 26. September 1933
[24] Vom 7. Oktober 1935. Ernst Thälmann, der Vorsitzende der KPD, wurde erst am 18. August 1944 im KZ Buchenwald ermordet.
Berlin/ Berlin Auch wenn die Freilichtbühne im Sinne einer Thingstätte errichtet wurde, so wurde sie nie so genannt. Zum einen, weil das NS- Regime bereits von der Thingbewegung Abstand genommen hatte, zum anderen war jene in Berlin im Rahmen der Olympischen Sommerspiele 1936 als eines von drei Elementen des Berliner „Reichssportfelds“ neben dem Olympiastadion und dem Maifeld geplant. Man wollte gerade bei diesem Prestigeobjekt keine Verstimmungen internationaler Art provozieren.[1]
Baubeginn / Einweihung 1934 / 02.08.1936
Architekt Werner March, Berlin
Bezeichnung historisch / zeitgenössisch Dietrich-Eckart-Freilichtbühne[2] / Waldbühne[3]
Nutzung historisch
02.08.1936 zur Einweihungsfeier
„Frankenburger Würfelspiel“ von E.W. Möller
August 1936 im Rahmen der Olympischen Sommerspiele (zwei Aufführungen)
Tanzspiel mit Bewegungschören: „Olympische Jugend“ von Carl Diem
August 1936 im Rahmen der Olympischen Sommerspiele (mehrere Aufführungen)
„Herakles“ von G. F. Händel, inszeniert von Hans Niedecken- Gebhard
August 1936 im Rahmen der Olympischen Sommerspiele
Bewegungschor: „Vom Tauwind und der neuen Freude“
15. – 19.08.1937 zur 700- Jahr- Feier Berlins (zwei Aufführungen)
„Herakles“ von G. F. Händel
15. – 19.08.1937 zur 700- Jahr- Feier Berlins
„Orpheus und Eurydike“ von C. W. Gluck
[4] Nutzung zeitgenössisch Zahlreiche Veranstaltungen: Konzerte, Bühnenshows, Filmvorführungen, Live- Übertragungen der Fußball- Bundesliga, etc. https://www.waldbuehne-berlin.de/
Wissenswertes:
Die endgültigen Ausmaße der Verstärkeranlage übertraf die der Heidelberger Thingstätte um ein Vielfaches: So konnten laut Quellenlage über 60 Mikrophone angeschlossen werden, welche den Ton auf 10 Lautsprecher übertrugen. Auch bestand die Möglichkeit, eine Übertragung ins Rundfunknetz herzustellen. Genauso konnte man eine Verbindung zu den Lautsprecheranlagen des nahegelegenen Maifeldes und des Olympiastadions herstellen, womit man bei voller Besucherzahl ca. 450.000 – 500.000 Menschen gleichzeitig erreichen konnte.[5]
[1] Stommer, Rainer, Die inszenierte Volksgemeinschaft, Jonas- Verlag Marburg, 1985, S. 207, insb. S. 134 ff.
Interview mit Heimatforscher Uwe Hinz, 2014, Bergen auf Rügen
Das Video ist Teil des „Thingstätten-Projekts“, das sich mit den Mitteln von Kunst und Wissenschaft, Text, Bild und Video den heutigen architektonischen Spuren der wenig erforschten nationalsozialistischen „Thingbewegung“ nähert. Es geht um die Bedeutung der problematischen Vergangenheit für die Gegenwart, und um die Stärkung demokratischer Initiativen. Das Projekt soll durch Information zur Entmystifizierung der nationalsozialistischen Propaganda der „Thingstätten“ beitragen.
Transkript Video Interview Thingstätte
Bergen auf Rügen
Herzlich Willkommen in unserer Stadt Bergen auf Rügen, hier auf dem Rugard, der an dieser Stelle etwa 93 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Mein Name ist Uwe Hinz. Ich selbst habe mich über Jahre beschäftigt mit der Historie nicht nur von Bergen, sondern auch mit der europäischen Geschichte und bringe den Menschen diese Heimat gerne näher. Ich möchte Sie jetzt gerne mitnehmen, auf einen Weg, der sicherlich nicht sehr einfach ist.
Wie sitzen hier an dem Ort, das ein Denkmal ist. Früher nannte man es ein Heldendenkmal und heute Unverbesserliche nennen es ein Kriegerdenkmal. Dieses Denkmal ist in Form einer Thingstätte errichtet. Nun werden viele fragen „was ist eine Thingstätte?“. Eine Thingstätte ist im alt germanischen Sinne eine Versammlungsstätte, an dem Recht gesprochen wurde.
Hier haben wir die Anlage der Thingstätte: Eine Bergener Firma hat hier Erdreich anfahren müssen, um die Terrassen, sie sehen hier die Plätze, zu schaffen und hier ist das Rondell. Dahinter befand sich dann später das Mallon-Denkmal. Sie sehen hier die weiten, zerklüftenden Einschnitte des Rügener Landes mit den „Botten“ Landschaften und der offenen See. Hier sind die Aufmärsche, zum Beispiel von dem ersten Mai 1933, zu sehen. Der Zug führte über die Straße hin zur Thingstätte, als Versammlungsort und Feierort der Nationalsozialisten, aufgenommen am 1. Mai 1933.
Im Jahre 1918, nach Ende des ersten Weltkrieges, wollte man die Menschen, die gefallen sind, die Bergener Bürger, nicht so einfach im Stich lassen. 206 Bergener sind hier in Europa für eine unselige Idee gefallen und irgendwo sind ihre Gräber verstreut, wo sie nicht mehr zu finden sind. Man wollte hier einen Hain schaffen, um diesen Menscheneine eine Stätte zu geben, an der ihrer gedacht wird.
1933 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht, und die absolute Herrschaft. Die Nationalsozialisten hatten ein starkes Bedürfnis, den germanischen Kult zu fördern. Wir haben hier den alten, historischen Burgwall. Im Sinne des Nationalsozialismus hat der Volkskundler Alfred Haas in einer Abhandlung die Thingstätte als eine germanische Stätte geschildert. Das war natürlich etwas sehr Positives für die Nationalsozialisten und so verlängerten sie die Achse von dem in ihrer Deutung germanischen Burgwall, über dieses Denkmal, bis zu der Thingstätte.
Sie wurde am 25. Mai 1935 eingeweiht und sie sollte mit einem Schauspiel „zum heiligen Vaterland“ stattfinden. Aber so richtig hat wohl diese Thingstätte nie Anklang gefunden, denn bereits im Jahre 1936 beschwerte sich die Stadt, dass diese Stätte verunkrautet sei.
Interessant ist auch, dass hier im Jahre 1938 ein Hitlermarsch, von diesem Mallon-Denkmal in Bergen nach Nürnberg zum Parteitag Adolf Hitlers stattfand. 43 Fahnen, die in diesem Denkmal geweiht wurden, wurden getragen. 900 Kilometer, in 43 Tagen, nach Nürnberg. Als dann die Ära der Nationalsozialisten mit dem Ende des zweiten Weltkrieges ihr Ende fand, wurde dieses Denkmal zerstört, durch die Nationalsozialisten selbst. Es gibt da widersprüchliche Meinungen. Die einen sagen, dieses Denkmal ist gesprengt worden, andere sagen, es ist nur angezündet worden. Eines ist wohl sicher, man hat dort noch nachträglich verkohlte Fahnenreste, Ehrendolche etc. gefunden und man soll wohl auch die Gebeine, des bis dahin als Mythos hochgehaltenen Hans Mallon gefunden haben.
Bergen auf Rügen / Mecklenburg- Vorpommern Auf dem Rugard, welcher eine Anhöhe auf der Insel Rügen ist, lag in einer Achse mit einem historischen Burgwall und einem 1937 eingeweihten Denkmal ein Thingplatz. Dieser wurde als einer der ersten im gesamten Reichsgebiet erdacht und war auch unter den 66 des Bauprogramms. Die Bezeichnung „Feierstätte der HJ“ erhielt dieser Ort aufgrund der regelmäßigen Nutzung der Hitlerjugend. Der Platz wird heute für Events aller Art verwendet.[1]
Allgemein:
Baubeginn / Einweihung 1934 / 25.05.1935
Architekt Ernst Zinsser, Berlin
Bezeichnung historisch / zeitgenössisch Thingplatz / Rugard- Bühne / Feierstätte der HJ. (seit 1938)
Nutzung historisch
1935
„Der Tod und das Reich“ von Hans Rehberg (gespielt von der Pommerschen Spielgemeinschaft)„Fest am Meer“ von Veit Rosskopf
Ursprünglich für Mitte September 1934 vorgesehen, erfolgte die Fertigstellung und Einweihung des Thingplatzes in Bergen auf Rügen erst im Jahr 1935. Die einfach gestaltete Stätte besteht aus einem Spiel- und Feuerplatz in Kreisform, der von einem Halbkreis mit Sitzplätzen umgeben ist. Das „Hans-Mallon-Ehrenmal“, in dem der Leichnam eines ermordeten Hitler-Jungen bestattet werden sollte, wurde dem Thingplatz im Zeitraum vom 30.06.1935 bis zum 21.06.1937 vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hinzugefügt.[3]Heute wird der Platz als Veranstaltungsort für Konzerte, Feiern und Tanzveranstaltun
[1] Stommer, Rainer, Die inszenierte Volksgemeinschaft, Jonas- Verlag Marburg, 1985, S. 206 f.
Bergen auf Rügen / Mecklenburg- Vorpommern Auf dem Rugard, welcher eine Anhöhe auf der Insel Rügen ist, lag in einer Achse mit einem historischen Burgwall und einem 1937 eingeweihten Denkmal ein Thingplatz. Dieser wurde als einer der ersten im gesamten Reichsgebiet erdacht und war auch unter den 66 des Bauprogramms. Die Bezeichnung „Feierstätte der HJ“ erhielt dieser Ort aufgrund der regelmäßigen Nutzung der Hitlerjugend. Der Platz wird heute für Events aller Art verwendet.[1]
Allgemein:
Baubeginn / Einweihung 1934 / 25.05.1935
Architekt Ernst Zinsser, Berlin
Bezeichnung historisch / zeitgenössisch Thingplatz / Rugard- Bühne / Feierstätte der HJ. (seit 1938)
Nutzung historisch
1935
„Der Tod und das Reich“ von Hans Rehberg (gespielt von der Pommerschen Spielgemeinschaft)„Fest am Meer“ von Veit Rosskopf
Ursprünglich für Mitte September 1934 vorgesehen, erfolgte die Fertigstellung und Einweihung des Thingplatzes in Bergen auf Rügen erst im Jahr 1935. Die einfach gestaltete Stätte besteht aus einem Spiel- und Feuerplatz in Kreisform, der von einem Halbkreis mit Sitzplätzen umgeben ist. Das „Hans-Mallon-Ehrenmal“, in dem der Leichnam eines ermordeten Hitler-Jungen bestattet werden sollte, wurde dem Thingplatz im Zeitraum vom 30.06.1935 bis zum 21.06.1937 vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hinzugefügt.[3]Heute wird der Platz als Veranstaltungsort für Konzerte, Feiern und Tanzveranstaltun
[1] Stommer, Rainer, Die inszenierte Volksgemeinschaft, Jonas- Verlag Marburg, 1985, S. 206 f.
Bad Windsheim / Bayern Obgleich bereits während der Bauarbeiten an diesem Ort nahe des Windsheimer Weinturms Sonnwendfeiern stattgefunden hatten und der Thingplatz in der ortseigenen Stadtchronik mehrmals genannt wird, so wurde seit dem Tod des Initiators 1937 nicht mehr daran weitergearbeitet. Eine offizielle Einweihung fand nie statt und auf dem heutigen Gelände deutet auch nichts mehr auf das ehemalige Bauvorhaben hin.
Allgemein:
Baubeginn / Einweihung Mai 1934 / –
Architekt Unbekannt
Bezeichnung historisch / zeitgenössisch Thingstätte auf dem Weinturmhügel / –
Seit 1977 findet auf dem Plateau jährlich das Weinturm- Open Air Festival statt. https://www.weinturm-open-air.de/ –
Wissenswertes: 1936 wurden 16 Eichen in Erinnerung an die gleichzähligen Märtyrer des Hitlerputsches gepflanzt. Nach dem Krieg wurde eine gefällt um die NS- mythologisch belastete Zahl zu verändern (Denkmalpflege Bayern).
Weitere Informationen: http://www.mgoesswein.de/weinturm.html