Zur Freilichtbühne in der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang

Text: Stefan Wunsch

Die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang in der Nordeifel ist mit rund 100 Hektar Fläche eines der ausgedehntesten, weitgehend erhaltenen Bauensembles aus der NS-Zeit. Wie die meisten der sogenannten NS-Großanlagen wurde Vogelsang nicht fertiggestellt. Teils waren hier beträchtliche Aus- und Erweiterungsbauten nur geplant, teils wurden sie tatsächlich begonnen. Doch auch ohne dass diese monumentalen Ausbauphantasien verwirklicht worden wären, ist die als Herrschaftsarchitektur in die Landschaft der Eifel modellierte Schulungsanlage für politische Funktionäre als Propagandaplattform und beeindruckende »Bühne« der Selbstdarstellung der NSDAP zu lesen: Die Ideologie ist hier in den Raum eingeschrieben, und bis heute zeugt Vogelsang von der Hybris der Nationalsozialisten, von ihrer Selbsterhöhung, von ihrem umfassenden Herrschafts- und Machtanspruch. Die ehemalige NS-Ordensburg – eine ab 1934 erbaute und nie fertiggestellte Pseudoburg, die zwischen 1936 und 1939 als Schulungsstätte für künftige NSDAP-Kader diente  und von circa 1.500 jungen Männern, sogenannten »Ordensjunkern« besucht worden war – ist ein sozusagen vom Nationalsozialismus kontaminiertes Gelände. 

Ein zentrales Element der landschaftsprägenden Architektur des weithin sichtbaren Bauwerks, für die der Kölner Architekt Clemens Klotz verantwortlich zeichnete, ist die 1936 fertig gestellte Freilichtbühne. Zentral im Hang der Anlage über den Sportstätten samt Tribünen und unterhalb der Unterkunftshäuser platziert, entspricht sie den Vorgaben, die der 1933 unter dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gegründete »Reichsbund für deutsche Freilicht- und Volksschauspiele« für die Errichtung von reichsweit 400 »Thingstätten« definiert hatte: Ausrichtung nach Norden und Einbettung in eine landschaftlich beeindruckende Lage, im Halbkreis ansteigende Zuschauerränge sowie Quergänge für Auf- und Abmärsche usw. Die von Klotz geschaffene steinerne amphitheatralische Tribüne direkt oberhalb der Spielebene wies allein 800 Sitzplätze auf.

Wurde die Vogelsanger Freilichtbühne während ihrer Errichtung noch als »Thingstätte« bezeichnet, so findet sich in den Quellen ab 1936 die Bezeichnung als »Feierstätte«. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die »Thingbewegung« als Propagandamittel des NS-Staates zum Zeitpunkt der Eröffnung der »Ordensburg« bereits wieder ausgedient und sich gerade Joseph Goebbels‘ Haltung zum vermeintlich germanischen »Thingspiel« ins Negative gewandelt hatte, war der nebulös-mythische Charakter der Veranstaltungen doch schlichtweg peinlich, sodass die offizielle Verwendung des Begriffes »Thing« schon im Oktober 1935 wieder untersagt worden war. 

Gleichwohl verdeutlicht die in Vogelsang errichtete Freilichtbühne die beabsichtigte Funktion, als monumentaler Versammlungsort dem emotionalen Gemeinschaftserlebnis der rassistisch, ethnisch-homogen gedachten NS-»Volksgemeinschaft« zu dienen. Sie wurde nie als »Thingstätte« genutzt, sondern sie diente als multifunktionale Freilichtbühne. Auf ihr wurden vor allem Feierstunden des politischen Kultes mit dem Ziel ersatzreligiöser Sinnstiftung ausgerichtet, zumal deren Gestaltung in Vogelsang integrierender Bestandteil der ideologischen Schulung der dortigen Lehrgangsteilnehmer – der sogenannten »Ordensjunker« – war. Der nationalsozialistische Helden- und Totenkult war nicht nur zentrales Thema des realisierten wie des geplanten Bildprogramms und des politischen Kultes in Vogelsang, sondern er war als Bezugspunkt des nationalsozialistischen Konzepts der Züchtung eines »Neuen Menschen« auch Teil der ideologischen Lehrinhalte und der konkreten Praxis in der »Ordensburg«. Gerade die Erinnerung an die »Helden« der NS-Bewegung und die Aufgabe der Formierung einer ethnisch homogen gedachten, neuen, geschlossenen und entschlossenen Gemeinschaft, die sich ihres Sendungs- und Herrschaftsauftrags bewusst sein sollte, waren neben ideologischen Vorlesungen und körperlichem Drill Gegenstand der vielen politisch-rituellen Feiern, die in Vogelsang, sozusagen einem Kult-Ort, stattfanden. Dies verdeutlicht das eigentliche Ziel der Schulung in Vogelsang: Es ging um die Inszenierung eines männlich-heroischen, aktivistischen und opfer- wie einsatzbereiten Menschenbildes mit dem Ziel, eine dauerhafte völkisch-rassistische Herrschaftsordnung zu begründen. 

Vogelsang erzählt uns heute somit auf den ersten Blick nicht von Menschen, die von Deutschen zu Opfern gemacht wurden, sondern von NS-Aktivisten und Mitläufern, von Tätern und Mittätern, zu denen zahlreiche ehemalige Ordensburgmänner wurden. Folglich wird Vogelsang zu den »Täterorten« der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gezählt. Orte wie Vogelsang haben zur »fatalen Attraktion« des Nationalsozialismus, zur Selbstmobilisierung vieler Menschen für das NS-Regime beigetragen und so eine herrschaftsstabilisierende Rolle gespielt. Zu den Funktionsmechanismen des Nationalsozialismus zählten neben radikaler Ausgrenzung, Terror und Gewalt auch mobilisierende ›Angebote‹ zu Teilhabe, Zugehörigkeit und Identifikation, wie es auch die Nutzung der Freilichtbühne in Vogelsang in der NS-Zeit verdeutlichen kann. ›Angebote‹ wie das – heute wieder gefragte – menschenverachtende Bild einer völkisch-rassistischen, ethnisch homogen gedachten »Volksgemeinschaft« und das des sich über andere erhebenden »Herrenmenschen«.

Literatur:

Petra Leser: Der Kölner Architekt Clemens Klotz (1886–1969), Köln 1991.

Klaus Ring/Stefan Wunsch (Hg.): Bestimmung: Herrenmensch. NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen, Dresden 2016.

Ruth Schmitz-Ehmke/Monika Herzog: Die ehemalige Ordensburg Vogelsang. Architektur, Bauplastik, Ausstattung, Umnutzung, 4. Aufl. Worms 2010.

Rainer Stommer: Die inszenierte Volksgemeinschaft. Die »Thing-Bewegung« im Dritten Reich, Marburg 1985.

Helmut Weihsmann: Bauen unterm Hakenkreuz. Architektur des Untergangs, Wien 1998.

error: Alert: Content is Copyright protected. Please contact to request permission for eduction or research use.