Eröffnung: 18.11.2022, 17:00 – 21:00
Ausstellung: 19.11 – 09.12.2022, Mi – Sa 12:00 – 18:00
Mehrkanal Videoinstallation mit 12 Monitoren
Ort: Markgrafenstraße 86, 10969 Berlin

Projekt auf der Website von Maria Vedder

https://www.mariavedder.de/video/2022/thingstaetten/
Projekt auf der Website von Maria Vedder

Die künstlerische Dokumentation der nationalsozialistischen THINGSTÄTTEN in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt wurde durch das Förderprogramm NEUSTART Kultur ermöglicht.

In ganz Europa nehmen die Stimmen für rechtsradikale Positionen zu. Nach der unermesslichen Katastrophe, die die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg über die Welt gebracht haben, ist diese Faszination schwer zu begreifen. In Russland ist sie besonders erschreckend aktuell. Um mehr zu verstehen, hat Maria Vedder am Beispiel der nationalsozialistischen THINGSTÄTTEN einen Aspekt der damaligen Propaganda untersucht: die Orte der Verführung. In den 1930er Jahren bauten die Nationalsozialisten in ganz Deutschland Freilichtbühnen. 400 waren geplant, fertiggestellt wurden etwa 60. Diese sogenannten Thingstätten wurden für Propagandaveranstaltungen und Aufmärsche genutzt. Bei diesen Freilichtaufführungen sollten Emotionen freigesetzt werden, die Menschen sollten ihre Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft spüren. Die Kundgebungen sollten den Führerkult festigen, die Menschen auf einen Krieg einstimmen, den es sich lohnen würde, für das Vaterland zu führen. Maria Vedder zeichnet in ihrer Installation die bisher wenig bekannte Geschichte der Thingplätze nach.

Für die Ausstellung hat Maria Vedder 12 Thingstätten in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Sachsen-Anhalt und Brandenburg gefilmt. Ihr Ziel ist es, alle der rund 40 Thingstätten in Deutschland zu dokumentieren. Von der Mehrzahl der Thingstätten aus dieser Zeit ist bekannt, wo sie sich befinden. Einige sind berühmt, wie die Berliner Waldbühne, die auf Hitlers Befehl für die Olympischen Spiele 1936 auf dem Olympiagelände errichtet wurde. Oder das Kalkbergstadion in Bad Segeberg, in dem seit 1952 jährlich die Karl-May-Spiele stattfinden. Viele ehemalige Thingstätten werden heute noch für Konzerte und Theateraufführungen genutzt. Andere sind zugewachsen, zerstört oder verschwunden.
Mit ihrer filmischen Spurensuche spricht Maria Vedder auch tiefere Schichten der Vergangenheit an. Die Bilder lenken die Aufmerksamkeit auf die uralte germanische Thing-Tradition, die sich die Nationalsozialisten aneigneten und für ihre Zwecke entstellten. Ein Thingplatz war ursprünglich ein Ort, an dem politische Beratungen stattfanden und Recht gesprochen wurde. Thing oder Ding war die Bezeichnung für Volksversammlungen und Gerichtsverhandlungen unter freiem Himmel.

Wichtig: Die Ausstellung umfasst zwei weitere Veranstaltungen, die nicht in unserer Galerie stattfinden werden. Diese sind:

Künstlergespräch: 15.11.22, 19:00, im Atelier von Maria Vedder, mit Julia Rosenbaum/Studio Visits
Screening: 14.12.22, 19:30, Raum für drastische Maßnahmen, Oderstr. 3, 10247 Berlin-Friedrichshain

Bad Segeberg / Schleswig- Holstein

Optisch betrachtet ist das heutige Freilichtbühnengelände der früheren Thingstätte noch sehr ähnlich. Von Goebbels wurde sie offiziell als „politische Kirche des Nationalsozialismus“ bezeichnet. Inoffiziell vermerkte er verhalten in seinem Tagebuch: „Die Feierstätte ist ganz passabel. Kein Kunstwerk, aber immerhin erträglich.“ Eine recht kritische Einschätzung des Bauwerks, hatte dessen Architekt Fritz Schaller es doch gekonnt verstanden, das Bauprojekt vorteilhaft in die bereits vorhandene Landschaft eines alten Kalksteinbruches einzuhegen. Während der NS- Zeit wurde der Thingplatz, für den wenig später nur noch der Begriff „Nordmark-Feierstätte“ verwendet wurde, so gut wie gar nicht benutzt. Erst ab 1952 zogen die auf dem akustisch vorteilhaften Gelände stattfindenden Karl- May- Festspiele regelmäßig größere Scharen von Besuchern an.[1][2]

Allgemein:

Baubeginn / Einweihung
29.05.1934 / 10.10.1937
                                   
Architekt
Fritz Schaller, Berlin        
                                                     
Bezeichnung historisch / zeitgenössisch                 
Nordmark- Feierstätte[3] / Kalkbergstadion[4]

Nutzung historisch

1938Sog. „Führerthing der Nordmarkjugend“, Führungstreffen HJ/ BDM
Im Rahmen des o.g.„Die Schlacht der weißen Schiffe“ von Hendrik Herse

[5][6]

Nutzung zeitgenössisch
Karl- May- Festspiele und Konzerte / https://www.kalkberg-events.de/

Wissenswertes:
Dieser Thingplatz war Teil des offiziellen Bauprogramms und unter den ersten 66.

Die Arbeiter des Reichsarbeitsdienstes kamen während der Bauarbeiten morgens mit Fahrrädern vom nahegelegenen Lager Schafhaus angefahren.



[1] Stommer, Rainer, Die inszenierte Volksgemeinschaft, Jonas- Verlag Marburg, 1985, S. 217 f.

[2] Bosse, Katharina, Thingstätten, Kerber- Verlag, Bielefeld, 2020, S. 28-30

[3] Bosse, 2020, ebd.

[4] Siehe Link bei „Nutzung zeitgenössisch“

[5] Stommer, 1985, ebd.

[6] Bosse, 2020, ebd.

Der „Dokumentations- und Lernort Bückeberg“ bei Hameln ist 2021 offiziell eingeweiht worden. Auf dem Rundweg gibt es Infos darüber, wie das Areal für die NS-Propagandaveranstaltung „Reichserntedankfeste“ genutzt worden ist.

Christian Branahl

Nov 2021

Deister- und Weserzeitung

Dewezet.de

Mülheim- Ruhr/ NRW

Die Freilichtbühne wurde 1933 im Rahmen einer landschaftlichen Neugestaltung geplant, zu der auch das umliegende Gelände an der Dimbeck und der heute noch vorhandene Rosengarten gehörte. Sie ging aus einer städtischen Initiative hervor. 

Auch wenn sie nicht die Bezeichnung „Thingstätte“ trug, wies sie in Form, Baugeschichte und Nutzung mit diesen eine große Übereinstimmung auf. 

Die Zuschauer saßen, und sitzen auch heute, in zwei halbkreisförmig angeordneten Segmenten, in deren Mitte ein Hohlweg verläuft, durch den die Mitwirkenden direkt durch die Zuschauermenge hindurch die Bühne betreten können.

Die Bühne wurde im Nationalsozialismus für Aufführungen und politische Aufmärsche genutzt. Heute ist sie als Naherholungsgebiet bekannt.

Baubeginn / Einweihung
1933 / 28.06.1936
                                   
Architekt
Die Anlage wurde von Gartenamtsdirektor Fritz Keßler und  Erich Schulzke, Bauinspektor des Gartenamtes geplant.                                                    
Bezeichnung:
Freilichtbühne Mülheim
            
Nutzung historisch
Dier Freilichtbühne wurde für Aufführungen und Aufmärsche genutzt.

28.6.1936 : Aufführung des „Sommernachtstraumn“

„Nicht Shakespeares Sommernachtstraum, sondern eine eigene Fassung im Sinne der damaligen Machthaber“ nach Bericht von Henning Schulzke.[1]

Nutzung zeitgenössisch 

Seit den 90er Jahren Nutzung für Konzerte, Open Air Festivals, sonstige Events 

Wissenswertes:

Ursprünglich sollte auf dem Gelände des ehemaligen Steinbruchs eine Müllkippe entstehen. Gartenbaudirektor Keßler fertigte stattdessen eine Skizze für die Umgestaltung zur Naturbühne an und gab diese mit finanzieller Rückendeckung durch den Oberbürgermeister in Auftrag.

Die Freilichtbühne wurde unter Mülheims Oberbürgermeister Wilhelm Maerz erbaut, dem aufgrund seiner politischen Parteizugehörigkeit dieses Amt 1933 übertragen wurde, nachdem der amtierende Bürgermeister vom NSDAP-Kreisleiter zum Rücktritt gezwungen worden war. Maerz wurde auf Grund seiner mangelnden Qualifikationen auch im Umgang mit den Stadtfinanzen vor Ende seiner Amtsperiode 1936 durch den deutschnationalen Bürgermeister  Edwin Hasenjaeger ersetzt.[2]

Aus der Mülheimer Zeitung (Nr. 62 vom 4.3.1937):

„Es ist bestimmt zu erwarten, dass dieser von der Natur selbst und durch den ehemaligen Steinbruchbetrieb erschlossene Raum in seiner festlichen und doch naturwüchsigen Ausgestaltung vielen Waffenaufmärschen, Versammlungen usw. unter freiem Himmel dienen wird. Denn für solche Gelegenheiten wird über den Sitzraum hinaus auf den Seitenwegen und in den Schluchten bei der straffen Selbstzucht disziplinierter Massen, wie sie der Nationalsozialismus erzwingt, auch noch Gelegenheit für reichlich Stehplätze sein.“

Deutlich wird an diesem Text der Auftrag an die Bühne, als Veranstaltungsort bei der propagandistischen Vorstellung der  ‚Volksgemeinschaft‘ mitzuwirken.[3]


[1] Henning Schulzke , geb. 1936,Sohn von Bauleiter Erich Schulzke, in einem Interview mit der „Neue Ruhr Zeitung“ 2008

[2] https://www.muelheim-ruhr.de/cms/muelheims_oberbuergermeister_seit_18082.html (5.6.2020)

[3] Quelle. Stadtarchiv Mülheim

Northeim/ Niedersachsen

Anfänglich als Thingplatz geplant, änderte sich die Einstellung der NS- Führung in Berlin zur Thingbewegung noch während der Bauarbeiten, weshalb die Stadt Northeim eine Umwidmung vornahm. Die als „Weihestätte“ bezeichnete Freilichtbühne sollte von nun an den gefallenen Soldaten Niedersachsens im Ersten Weltkrieg gewidmet werden und stand alsbald unter der symbolischen und auch finanziellen Patenschaft der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV). Dem Stadtrat wurde damals schnell klar, dass für die Folgekosten des Platzes aufgekommen werden musste und man wollte vermeiden, dass die Stadt allein auf diesen sitzen bleibt.[1][2]

Allgemein:

Baubeginn / Einweihung
17.06.1934 / 07.06.1936[3]
                                   
Architekt
Fritz Schaller, Berlin[4]
                                   
Bezeichnung historisch / zeitgenössisch 
Weihestätte Northeim / Freilichtbühne Niedersachsen, später Waldbühne[5]
            
Nutzungsgeschichte

07.06.1936„Hermannschlacht“ von Kleist
03.09.1937„Von den Männern, die ihre Pflicht getan“
18.06.1939„Die Fahne ruft!“ von Fritz Braak
1938Deutsches Turnfest
Mai 1939Gautagung des Reichskolonialbundes
1936 – 1939NSKOV- Tagungen, Feierstunden des RAD, Mai- und Sonnwendfeiern

[6]

Nutzung zeitgenössisch
Open Air Gelände
https://www.northeim.de/tourismus-kultur/museum-stadthalle-buergersaal/waldbuehne.html 

Wissenswertes:

Bei den meisten Thingstätten wurde der Baumbestand des Geländes vor dem Bau komplett abgeholzt. So waren die Zuschauenden sowohl der prallen Sonne als auch starken Regengüssen ausgesetzt. Im Northeimer Beispiel wurde der natürliche Baumbestand vor Ort mitten in die Thingstätte integriert. So gab es innerhalb der Zuschauerränge gleichmäßig verteilt Bäume und der Rednerplatz vorne wurde ebenso mit einem Baum „markiert“.[7]

Die Einweihung des Platzes war generalstabsmäßig vom ehrgeizigen NS- Bürgermeister Girmann geplant und durchgeführt worden. So musste die Bevölkerung kleine Metallplaketten kaufen, auf denen das Emblem des Freiwilligen Arbeitsdienstes zu sehen war. Diese galten einerseits als Eintrittskarte auf das Thinggelände, andererseits konnte man kontrollieren, wer tatsächlich daran teilgenommen hatte und wer nicht.[8]

Bemerkenswert ist, dass trotz dem Verbot des Thingbegriffes und den thingspielspezifischen Charakteristika, wie z.B. den Sprechchören, diese trotzdem 1937 und 1939 in Northeim bei Aufführungen dargeboten wurden. Dies weist auf eine vereinzelte, inoffizielle Weiterführung der Thingspielkultur hin.[9]


[1] Röwer- Döhl, Ruth, Northeim im 20. Jahrhundert, Northeim 2002, S. 6

[2] Bosse, Katharina, Thingstätten, Kerber- Verlag, Bielefeld, 2020,  Geymüller Verlag 2021, S. 96/97

[3] Stommer, Rainer, Die inszenierte Volksgemeinschaft, Jonas- Verlag Marburg, 1985, S. 215

[4] Ebd.

[5] Röwer- Döhl, 2002, S. 1 und S. 9 ff.

[6] Merl, Günther, Northeimer Jahrbuch, Northeim 1989, S. 191 ff.

[7] Stommer, 1985, S. 215

[8] Merl, 1989, S. 192 ff.

[9] Ebd., S. 192 ff.

Interview mit Wolfgang Pletz, zum Zeitpunkt der Aufnahme 2014 Bürgermeister von Lamspringe, über die Geschichte und die heutigen architektonischen Spuren der von den Nationalsozialisten im Rahmen der Thingbewegung erbauten Freilichtbühne im Klosterpark in Lamspringe, Niedersachsen. Es zeigt auch die erhaltene Bauakte.

Dieses Video ist Teil des interdisziplinären und internationalen Kunst & Wissenschaftsprojekts „Thingstätten“ www.thingstaetten.info. Es engagiert sich für die Erinnerungskultur und eine Aufarbeitung der im Alltag integrierten oder fast vergessenen, als propagandistischen Freilichtbühnen der Nazizeit errichteten Bauten, und fragt nach der Bedeutung dieser Vergangenheit für die Gegenwart. Forschungsprojekt FH Bielefeld.

Die Bauakte befindet sich vollständig erhalten im Archiv der Gemeinde Lamspringe, Niedersachsen. Dokumentiert sind viele Details zur Entstehung der nationalsozialistischen Thingstätte, von Zeichnungen zur Planung bis zu der Einweihungsfeier. 2014 wurde sie für das Thingstätten Projekt fotografiert. Sie ist auch in dem Videointerview über die als nationalsozialistische Weihestätte erbaute Bühne im Klosterpark Lamspringe zu sehen.

Lamspringe Info

Lamspringe/ Niedersachsen
Im Klostergarten Lamspringe gelegen, bot diese recht kleine Thingstätte für gerade mal 2000 Personen Platz. „Als letzter Ort im Reich“ bekam Lamspringe die Genehmigung vom zuständigen Ministerium und auch der Bau begann als letzte derer, die im Bauprogramm vorgesehen waren.  Anders als bei der Mehrzahl der Thingplätze im Reich wurde dieser durch normale Bauunternehmen statt vom Reichsarbeitsdienst durchgeführt, nachdem es ein zähes und langes Hin und Her bei der Frage gab, welche Stellen für welchen Anteil der Kosten aufkommen würde. Am Ende blieb die Gemeinde auf den kompletten Kosten von ca. 20.000 RM sitzen. Dokumente aus der damaligen Zeit machen die Prestigeträchtigkeit einer Thinganlage deutlich, was erklärt, weshalb das Projekt auf Biegen und Brechen fertiggestellt werden sollte. Heute ist der Thingplatz kaum erkennbar, vergleicht man jedoch die Baupläne mit dem heutigen Bild, so wird schnell klar, dass es sich um das Zentrum der Spielfläche des Thingplatzes handelt. Die noch sichtbare Gruppe von Kastanienbäumen gehört ebenso zur ursprünglichen Anlage dazu, wie eine Rundform, die zumindest bei der Errichtung ein Quellbrunnen war. [1][2]

Baubeginn / Einweihung
22.09.1935, bzw. Dezember 1935 / 28.06.1936
                                   
Architekt
Fritz Schaller, Berlin
                                                           
Bezeichnung historisch 
Thingplatz Lamspringe[3][4]
            
Nutzung historisch

28.06.1936„Übergabespiel“ von Kurt Fischer
28.06.1936„Ewiges Volk. Spiele der deutschen Jugend“ von Wolfram Brockmeier

[5]
Nutzung zeitgenössisch
Bürgerpark/ Kloster Park Lamspringe 

https://www.lamspringe.de/index.php?ModID=7&FID=2827.317.1&object=tx%7C2827.317.1


Wissenswertes:

Die Bauakte ist vollständig erhalten.

Finanzielle Schwierigkeiten durch nicht eingehaltene Absprachen in der regionalen Parteistruktur und der fehlenden Unterstützung des Reichspropagandaministeriums machten es der Gemeinde Lamspringe unmöglich, die Thingstätte kostendeckend zu verhalten. Zusätzlich war das Interesse an Aufführungen eher mäßig, was auch mit nicht erfolgter Werbehilfe seitens umliegender Gemeinden zu erklären ist.[6]


[1] Stommer, Rainer, Die inszenierte Volksgemeinschaft, Jonas- Verlag Marburg, 1985, S. 142 ff. und S. 214

[2] Aus den Unterlagen der Akte 3-331-01 „Thingplatz“ des Archivs der Gemeinde Lamspringe

[3] Stommer, 1985, S. 214

[4] Akte „Thingplatz“

[5] Stommer, 1985, S. 145

[6] Stommer, 1985, S. 142 ff.

Zur Website von Jewgeni Roppel

Zum Thingstätten Index

Zur Essay von Gerwin Strobl Die „Volksgemeinschaft“ unter freiem Himmel: Thing(spiel)- bewegung und Thingstätten