Interview mit Dr. Hans-Dieter Nägelke, Leiter des Architekturmuseums der TU Berlin  zum Nachlass des Architekten Werner March und der Geschichte der im Nationalsozialismus als Thingstätte erbauten heutigen Waldbühne in Berlin.

Dieses Video ist Teil des interdisziplinären und internationalen Kunst & Wissenschaftsprojekts „Thingstätten“  www.thingstaetten.info. Es engagiert sich für die Erinnerungskultur und eine Aufarbeitung der im Alltag integrierten  oder fast vergessenen, als propagandistischen Freilichtbühnen der Nazizeit errichteten Bauten, und fragt nach der Bedeutung dieser Vergangenheit für die Gegenwart.

Waldbühne Berlin

1936 gebaut als Dietrich-Eckart-Freilichtbühne

Architekt: Werner March

„Ich bin Dieter Nägelke und leite das Architekturmuseum an der technischen Universität Berlin. Wir sind seit 130 Jahren Architekturmuseum und damit eine der ältesten Institutionen dieser Art in Deutschland. Unser Sammelgebiet betrifft das ganze damalige „deutsche Reich“ und seitdem konzentrieren wir uns mehr oder weniger auf Berlin und das Umland.

Unter dem Gesichtspunkt der Gesamtinszenierung dieses Theaters Architektur, Landschaft, Raum, Bewegung, nicht zuletzt auch Licht, ist eine Fotografie besonders wichtig, die sich auch in dem Nachlass Werner Marchs bewahrt hat. Eine Fotografie von der Fotografin Charlotte Rohrbach, die sicherlich nicht von ungefähr an die Fotoinszenierung Leni Riefenstahls, im Zuge der Olympiade, erinnert. Wir sehen das Theater im Gebrauch, mit einem antikisierenden oder mittelalterlichen Singspiel, in einer feierlichen Aufstellung. Wir sehen das Dunkel des Publikums, im Gegensatz zur hell erleuchteten Bühne und wir sehen dahinter die Kulisse der Bäume aufragen, vor dem sich eindunkelnden Abendhimmel. Ich denke, dieses Foto zeigt sehr genau, worum es den Nationalsozialisten gegangen ist, nämlich eine Stimmung zu evozieren, die in ihrer Mystik, in ihrem weihvollen Charakter die Zuschauer fasziniert. Von der Größe fasziniert, von dem Charakter fasziniert und zusammenbindet und das funktioniert ja auch heute noch. Wer die Waldbühne betritt und Konzerte besucht, ist eingefangen von diesem Zauber der Landschaft. Auch das ist ein Grund, weshalb wir uns viel mehr mit diesen Bauten beschäftigen sollten, als wir es bisher getan haben. Wir haben einige Forschungen zur Architektur des „Dritten Reiches“ geleistet, aber die Thingstätten und insbesondere auch die Waldbühne, hier in Berlin, gehören noch nicht dazu.“  Berlin 2014

Der Plan von Architekt Ernst Zinsser vom 2.6.1934 sah 720 Sitzplätze und 4760 Stehplätze vor. Die Fertigstellung des Platzes liegt vermutlich zwischen 1936-1938. [1]             
Architekt: Ernst Zinsser                                                
Bezeichnung historisch: Thingplatz

Bezeichnung zeitgenössisch: Skateranlage im Stadtwald  

               
Nutzung historisch: 1940 fanden Karl-May Spiele statt. Nach dem Krieg wurde die Bühne nur noch sporadisch genutzt. [2]


Nutzung zeitgenössisch: 1998 wurde auf dem ungenutzten Theater eine Skate-Anlage gebaut. Im Park liegt kein Gebäude unter Denkmalschutz. Ebenso wenig gibt es Bodendenkmale im Bereich des Parks. [3]


Wissenswertes: Die Position der Skateranlage auf der ehemaligen Thingstätte wird als nicht ideal bewertet, da sie außerhalb der Innenstadt liegt, über unbefestigte Wege zu erreichen ist und es an Publikum für die Skater mangelt. In einer Studie von 2018 wird ein Umbau zur Freilichtbühne empfohlen. [4]


[1] Bauplan in der  Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität Köln. Zitiert nach Rainer Stommer: Die inszenierte Volksgemeinschaft, Jonas Verlag, Marburg, 1986, S. 219/220

[2] Konzeptstudie Begegnung und Bewegung im Stadtwald, Institut für kommunale Sportentwicklungsplanung an der Fachhochschule für Sport und Management Potsdam der Europäischen Sportakademie Land Brandenburg, PDF, 2018, abgerufen am 25.10.2020,  S. 6 

https://www.werder-havel.de/werder/64-containerkategorie/116-sehenswuerdigkeiten/1297-stadtwald

[3] Ebenda S.7

[4] Ebenda S.12

Heidelberg / Baden- Württemberg

Im Bauprogramm der ersten 66 Thingplätze und ursprünglich für bis zu 40.000 Zuschauer konzipiert, wurde die Anlage auf dem Heiligenberg in einer zur Hälfte verkleinerten Form eingeweiht. Dieser Thingplatz war ein Prestige- Objekt der nationalsozialistischen Führung. Goebbels persönlich wohnte der Einweihung bei. Bei der Fertigstellung gab es zahlreiche Probleme. Die veranschlagten Kosten in Höhe von 135.000 RM entwickelten sich bis zur Einweihung auf über 600.000 RM. Die tontechnische Ausstattung der Thingstätte war eine der modernsten ihrer Zeit.

 [1][2][3]

Baubeginn / Einweihung                                                   
April 1934 / 22.06.1935

Architekt                                                                                    
Hermann Alker, Karlsruhe

Bezeichnung historisch / zeitgenössisch                                   
Heidelberger Thingstätte[4]

Nutzung historisch

22.06.1935Sonnwendfeier: „Volkskantate für Männerchor und Knabenstimmen ‚Heiliges Vaterland‘“ von Franz Philipp
20.07.1935 
– Weitere vier Aufführungen
Reichsfestspiele: „Der Weg ins Reich“ von Kurt Heynicke
1936Gausonnwendfeier
1937Gausonnwendfeier
03.07.1937
11.07.1937
„Der Feldherr und der Fähnrich“ von Walter Erich Schäfer
26.09.1937„Oratorium der Arbeit“ von Georg Böttcher
1939
– Zwei Aufführungen
„Braut von Messina“ von Friedrich Schiller

[5][6]                                                 
Nutzung zeitgenössisch
Es finden keine offiziellen Veranstaltungen mehr statt. Wanderrouten, Geo- Cashing und ein Restaurant sind aber weiterhin Besuchermagneten.

Wissenswertes
Entgegen heutiger, immer wieder geäußerter Annahmen gab es auf dem Gelände keine historische germanische Thingstätte.[7]



[1] Stommer, Rainer, Die inszenierte Volksgemeinschaft, Jonas- Verlag Marburg, 1985, S. 103 ff. und S. 211

[2] Bosse, Katharina, Thingstätten, Kerber- Verlag, Bielefeld, 2020, S. 56

[3] Dussel, Konrad, Kult oder Komödie? Heidelberger Theater im Nationalsozialismus, Vortrag am 24. April 2001 in Heidelberg, S. 2

[4] Stommer, S. 211

[5] Stommer, Rainer, Die inszenierte Volksgemeinschaft, Jonas- Verlag Marburg, 1985, S. 103 ff. und S. 211

[6] Dussel, Konrad, Kult oder Komödie? Heidelberger Theater im Nationalsozialismus, Vortrag am 24. April 2001 in Heidelberg, S. 2

[7] Lurz, Meinhold: Die Heidelberger Thingstätte. Kunst als Mittel politischer Propaganda,Heidelberg, 1975, S. 51