Der Thingplatz von Gerresheim

von Peter Stegt

Wo der Gerresheimer Thing-Platz lag und warum es ihn gab, weiß kaum jemand. Nur wenige Zeitzeugen erinnern sich daran. Nun belegen neue Quellenfunde den Ort und den Sinn dieser Einrichtung.

„Helft mit! In Gemeinschaft mit den Gerresheimer Volksgenossen baut die NSKOV (National-Sozialistische Kriegsopferversorgung) am kleinen Dern die Feierstätte von Gerresheim. Besucht die Feierstätte und würdigt die Opferwilligkeit der Dernbauarbeiter!“

So der Text einer Anzeige in der Festschrift „Gerresheim 1236 – 1936“: Werden und Gestaltung“, die zum 700. Jahrestag der Kirchenweihe herausgegeben wurde. Der Thing-Platz ist noch heute im Gelände zu erkennen, wenn auch von Gestrüpp überwuchert und kaum zugänglich.

Doch was ist überhaupt ein „Thing“? Darunter verstand man in alten Zeiten die Versammlung eines Stammes bzw. einer Volksgruppe und deren Ort, um mögliche rechtliche Streitfragen zu klären und Urteile zu fällen. Zudem wurden hier wichtige gemeinschaftliche Entscheidungen getroffen.

Die Nazis griffen diese überlieferte Institution auf, um auf den nationalen und lokalen Stolz sowie die germanischen Wurzeln hinzuweisen. Gerade in der Hitlerjugend fand man den perfekten Nährboden für solche Rituale. Man benötigte Soldaten für den Krieg.

Die Idee zur Errichtung eines Thing-Platzes stammt sehr wahrscheinlich von dem Ortsgruppenleiter und Düsseldorfer Stadtrat Alwin Wesch, dessen Büro an der Benderstraße 54 war. 1933 konstatierte er in einer Festschrift zum „Erntedank- und Heimatfest“ Ende September: „Gerresheim ist für den Führer erobert!“

Am 17. Juni 1934 war es dann endlich soweit: Die Einweihung des Platzes fand statt. Ein Pastor Brützel, über den trotz weiterer Nachforschungen bisher nichts herausgefunden werden konnte, gab dem Platz die geistliche Weihe, bevor Alwin Wesch in seiner Rede vom „Kampf um die Heimaterde“ sprach. „Nicht die Waffe allein sei Kampfmittel, sondern auch der Geist.“

Anschließend hielt der Vorsitzende des NSKOV (Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung) Heesen eine kurze Rede, in der er den Plan zur Gedenkstätte formulierte:

„Ein Rondell in der geschützt liegenden Schlucht solle zu einer Dingstätte werden, umgeben von schönen Anlagen, u.a. einem Rosarium. Ein Ehrenhain, in den jede Ortsgruppe einen Baum pflanzt, soll dem Andenken der Gefallenen des Weltkrieges, der nationalen Revolution und den Opfern der Arbeit geweiht sein.“ Auf dem oberen Thing-Platz sollte ein „Gedenkstein gen Himmel ragen.“

Es sollte „ein Ort der Erholung für alle Kameraden und deren Angehörige und der Erinnerung und Mahnung werden.“

Der untere Hauptplatz oder auch „Ehrenhain“ war in einem Taleinschnitt am Fuße der Gerresheimer Höhen gelegen. Hier gab es einen langen Weg für Aufmärsche, der in einer Rundung zur Versammlung endete. Hier konnten Eidesschwüre, Festspielaufführungen und andere Versammlungen zu NS-Festtagen stattfinden.

Von hier aus führten 220 Stufen zum oberen Thing-Platz. Die Anzahl der Stufen ist nur überliefert, weil es nach Zeitzeugenaussagen für die damals teilnehmenden Kinder ein Vergnügen war, die Stufen zu zählen. Links und rechts des Aufgangs sollen in regelmäßigen Abständen Steinquader gestanden haben, auf denen bei Festen Fahnen- und Fackelträger standen.

Auf dem oberen Platz wurde ein Monolith – der oben genannte Gedenkstein –  aufgestellt, den es noch heute gibt. Um ihn herum gab es einen kleineren Festplatz. Wozu dieser Nebenplatz genau diente, ist nicht überliefert. Man kann nur vermuten, dass die NS-Organisationen, wie die HJ oder der BdM, hier zu besonderen Feierlichkeiten heraufmarschierten, um dort Rituale, wie das gemeinsame Singen oder einen Fahneneid zu vollziehen. Nach den Zeitzeugenaussagen sollen die Aufmärsche auf beiden, dem unteren und dem oberen Platz, stattgefunden haben. Sie waren steinern umrandet und mit Kies bzw. Sand bedeckt.

Den Eingang von der Straße bildete den Aussagen zufolge ein großes eisernes Tor. Es gab keine Sitzplätze, doch der Platz war von stufenartigen Stehplätzen umgeben. „An Heldengedenktagen und bei Sonnwendfeiern zogen wir nachmittags von der Schule aus dort hinauf. Dort sangen wir dann Lieder und sagten Gedichte auf“, erinnert sich Elfriede Fehse.

Bei Veranstaltungen sei das Plateau von Fahnen umstellt gewesen. „Die Feiern wurden gemeinsam von den Schulen, der SA, der Hitlerjugend und dem Bund deutscher Mädel organisiert und durchgeführt.“ Elfriede Fehse kann sich sogar noch im Wortlaut an eines der Volkslieder erinnern, welches dort gesungen wurde:

„Nichts kann uns rauben
Liebe und Glauben
Zu unserm Land;
Es zu erhalten
Und zu Gestalten,
Sind wir gesandt.

Mögen wir sterben,
Unseren Erben
Gilt dann die Pflicht:
Es zu erhalten
Und zu gestalten:
Deutschland stirbt nicht!“

Nach 1940/41wurde der Platz aufgegeben. „Wohl wegen des Krieges“, vermutet Fehse, die 1936 dem Bund deutscher Mädel (BdM) beitrat. Der oben genannte Plan wurde jedenfalls nie zur Vollendung gebracht. Stattdessen geriet der Platz während und nach dem Krieg in Vergessenheit.

Ein weiterer Thingplatz soll sich noch an der Hagener Straße am Sandberg im Süden Gerresheims befunden haben. „Ich habe mit Klassenkameradinnen gesprochen, die meine Erinnerungen diesbezüglich bestätigt haben.“ Vielleicht weiß ein Leser des „Gerrikuss“ mehr?

Heute ist das gesamte Plateau des Thing-Platzes kaum bekannt und von Bäumen und Büschen bewachsen. Das eiserne Tor ist verschwunden, einzige erhaltene Zeugen sind der große Monolith in der Mitte des oberen Thing-Platzes und der Grundriss, den man aus der Sicht von oben noch sehen kann.

Quelle: Dieser Text und die zugehörigen Bilder wurden in der Ausgabe 3/2018 des Magazins zur Stadteilgeschichte „Gerrikus“ veröffentlicht.

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