Interview mit Lutz Walk, Arbeitskreis Stedingsehre, 2014, über die Geschichte und heutige Nutzung der von den Nationalsozialisten als Thingstätte erbauten Freilichtbühne in Bookholzberg Ganderkesee bei Oldenburg.
Dieses Video ist Teil des interdisziplinären und internationalen Kunst & Wissenschaftsprojekts „Thingstätten“ www.thingstaetten.info. Es engagiert sich für die Erinnerungskultur und eine Aufarbeitung der im Alltag integrierten oder fast vergessenen, als propagandistischen Freilichtbühnen der Nazizeit errichteten Bauten, und fragt nach der Bedeutung dieser Vergangenheit für die Gegenwart.
„Mein Name ist Lutz Walk, mit einem Arbeitskreis von circa 30 engagierten Bürgerinnen und Bürgern aus dieser Region widmen wir uns der Geschichte dieses Ortes. Es geht um die historischen Ursprünge dieses Ortes, welche Funktion er hatte und was seine heutige Bedeutung ist.
Das Entstehen dieser Anlage ist einem historischen Ereignis zu verdanken, der Schlacht von Altenesch 1234. In dieser Schlacht verloren die Stedinger Bauern, die längs der Weser siedelten, gegen den Erzbischof von Bremen. Sie wurden vernichtend geschlagen, fast das gesamte Volk der Stedinger wurde ausgerottet.
Insgesamt waren bei diesen Aufführungen etwa 230.00 Menschen aus dieser Region Zuschauer. Es wurde hier am Hang diese riesige Bühne für 10-12.000 Zuschauer errichtet mit einem historischen „Spieldorf“. Es war ein Idealdorf, wie man es sich vorstellte, wie die Stedinger gelebt haben könnten. Vor dieser Kulisse spielte sich nun ein Massenspektakel ab, mit mehreren hundert Beteiligten: Schauspielern, Laienschauspielern, aber auch Berufsschauspieler. Die Nazis waren geschickt, dieses Schauspiel in die Anfang der 30er Jahre entstehende Thingbewegung zu integrieren. Später stritten sich die Nazis dann intern, ideologisch, ob dieser Germanen-orientierte Umgang mit den sogenannten Thingstätten noch angemessen sei, und insofern bestand der Begriff der „Thingstätte“ für diesen Ort nicht sehr lange. Er wurde dann später umbenannt in niederdeutsche Kultstätte in Erinnerung an die historischen Zusammenhängen.
Die Funktion dieses Ortes war immer die gleiche geblieben. Nur die Benennung und die ideologische Zuordnung veränderte sich im Laufe der 30er Jahre. Zur Nutzung: nach dem Ende der Nazi-Schreckensherrschaft, 1945, kamen Engländer und Kanadier als Befreier in die Region und sie nutzten diesen Ort erst einmal vielfältig für Verwaltungszwecke. Auf dieser Bühne wurde der erste demokratische Bürgermeister von Bookholzberg nach dem zweiten Weltkrieg ausgerufen, von den kanadischen Besatzungsmächten. Insofern begann die Nachkriegszeit für diesen Ort mit einem positiven Ereignis.
Dieser Ort, der als Erinnerung an ein historisches Ereignis geschuldet ist, hat mehrere ineinander verwobene Bedeutungen. Das macht den Umgang mit diesem Ort sehr schwierig. Heute sehen wir die grüne Idylle. Die Natur hat sich viel von der Theateranlage zurückgeholt und diese Idylle verdeckt natürlich manches, was hier, im dritten Reich, passiert ist.
Wir stehen hier jetzt auf der sogenannten Ehrentribüne am oberen Rand der Tribüne. Von hier kamen die Zuschauer und hatten dann vor sich das weite Stedinger Land und direkt vor sich das Spieldorf, im dem dann die Handlung, der Kampf der Stedinger, sich abspielte.
Man kann heute nur noch erahnen, welchen Eindruck dieser Blick auf die Zuschauer gemacht hat. Hier auf diesem alten, historischen Foto, auf dem es noch keine Bäume gibt, sieht man, dass sich die Landschaft ins unendliche erstreckt. Man sieht hier noch den Kirchturm, mit der Menge der Schauspieler. Es waren wohl über 300 Schauspieler und man sieht hier auch die Brücke über den Graben. An dieser Stelle befinden wir uns jetzt und das ganze Dorf war die Bühne für dieses Massenspektakel.
Es wurde so dargestellt, wie man es sich idealisierend, nicht historisch, das Leben in einem Stedinger Dorf vorstellte. Auch die Zugbrücke, die hier einmal hochgeklappt ist, man kann hier sehen. Sie ist im Originalzustand erhalten. Dieses Erinnerungsalbum diente den Mitwirkenden dazu, die Erinnerung zu bewahren, an die Mitwirkung an ein besonderes Ereignis. Das war ja nicht selbstverständlich, dass man an einem so besonderen Schauspiel als normaler Dorfbürger mitwirken konnte.“