Thingstätte Herchen – Spielstätte Letmathe. Eine Erinnerung

Von Thomas Wrede

Aufgang zur THingstätte Herchen mit Kanonen aus dem französischen Krieg Aus der Fotografie Installation von Thomas Wrede im Rahmen des interdisziplinären Kunst und Wissenschafts Projekts Thingstätten Erinnerungskultur Nationalsozialismus
Aus der Fotografie Installation: Zugang zum Thingplatz mit Weihnachtsbaum und Kanonen, 2014

Als ich die Thingstätte Herchen mit ihrer runden Architektur und mitten auf einem bewaldeten Bergsporn sah, erinnerte sie mich an einen schönen, aber auch tragischen Ort meiner Kindheit im sauerländischen Letmathe. Es war mir schnell klar, dass ich für mein fotografisches Projekt diese beiden Orte gegenüber stellen möchte.  Als Jungengruppe im Alter von 9 bis 13 Jahren hatten wir uns über Jahre an einem kreisrunden Tümpel oberhalb unserer Siedlung getroffen. Diese im dunklen Wald liegende Wasserstelle war der heimliche Ausgangspunkt für unsere Abenteuerspiele und Expeditionen. Wir waren von unserer „Spielstätte“ wie magisch angezogen, bis sie einem Schulfreund zum tödlichen Verhängnis wurde. Dass dieser Tümpel ein Bombentrichter war und dass sich in seiner Umgebung zahlreiche Munitionen aus dem Zweiten Weltkrieg befanden, die deutsche Soldaten bei ihrem Rückzug liegen gelassen hatten, erfuhren wir erst dann.  Im Frühjahr 1976 fand ein Klassenkamerad, 13 Jahre alt, mit seinem Freund eine große Flügelgranate. Sie nahmen ihren Fund mit nach Hause und versuchten, sie zu öffnen. Es war ein sonniger Frühlingstag, als eine ohrenbetäubende Explosion unsere Siedlung erschütterte. Mein Schulfreund wurde zerrissen und getötet, der andere Junge erlitt schwere Verletzungen und überlebte.  Nach über vierzig Jahren habe ich das am Berghang liegende Waldstück wieder aufgesucht. Die Schrebergartensiedlung hatte sich weiter ausgebreitet und befand sich nun in sichtbarer Nähe. Im feuchten Herbstwald hatte der Bombenkrater nur wenig von seiner dunklen und für mich beklemmenden Atmosphäre verloren. Selbst die Größe hatte sich kaum verändert.  Vor diesem Hintergrund empfinde ich die Inschrift an der Herchener Thingstätte als Ausdruck der nationalsozialistischen Blut- und Bodenideologie umso zynischer und makaberer: „GEBOREN ALS DEUTSCHER – GELEBT ALS KÄMPFER – GEFALLEN ALS HELD – AUFERSTANDEN ALS VOLK“. Die Nationalsozialisten hatten den Text ca. 1934 zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges angebracht. Auch das nationalsozialistische Gesamtensemble des „Thingplatzes“ mit den „Herchener Kanonen“ und der Hinweistafel vom „Bürger- und Verschönerungsverein“ (Stand 2014) wirken in ihrer Beschreibung unreflektiert. Nur direkt an der Rotunde der Thingstätte gibt es ein kleines Textschild mit der Überschrift: „ Ein unangenehmes Denkmal …“ Für mein fotografisches Projekt habe ich die zwei Orte mit weiteren Fotografien aus ihrem Umfeld in ihren räumlichen und geistigen Kontext gestellt. Es sind Bilder mit den beiden Zugängen zu der Thingstätte und dem Bombenkrater, ergänzt mit Aufnahmen von einer aktuellen Informationstafel.

Aus der Fotografie Installation von Thomas Wrede im Rahmen des interdisziplinären Kunst und Wissenschafts Projekts Thingstätten Erinnerungskultur Nationalsozialismus
Thingstätte Herchen, 2014
Inschrift Thingstätte Herchen (1935): „ GEBOREN ALS DEUTSCHER – GELEBT ALS KÄMPFER – GEFALLEN ALS HELD – AUFERSTANDEN ALS VOLK“, 2014 Aus der Fotografie Installation von Thomas Wrede im Rahmen des interdisziplinären Kunst und Wissenschafts Projekts Thingstätten Erinnerungskultur Nationalsozialismus
Inschrift Thingstätte Herchen (1935): „ GEBOREN ALS DEUTSCHER – GELEBT ALS KÄMPFER – GEFALLEN ALS HELD – AUFERSTANDEN ALS VOLK“, 2014
Aus der Fotografie Installation von Thomas Wrede im Rahmen des interdisziplinären Kunst und Wissenschafts Projekts Thingstätten Erinnerungskultur Nationalsozialismus
Bombentrichter, Letmathe, 2015
Aus der Fotografie Installation von Thomas Wrede im Rahmen des interdisziplinären Kunst und Wissenschafts Projekts Thingstätten Erinnerungskultur Nationalsozialismus
Verbauter Zugang zum Bombentrichter, Kleingärtnerverein, Letmathe, 2015
Aus der Fotografie Installation von Thomas Wrede im Rahmen des interdisziplinären Kunst und Wissenschafts Projekts Thingstätten Erinnerungskultur Nationalsozialismus
Installationsansicht
Aus der Fotografie Installation von Thomas Wrede im Rahmen des interdisziplinären Kunst und Wissenschafts Projekts Thingstätten Erinnerungskultur Nationalsozialismus
Beschriftung am Aufgang zur Thingstätte in Herchen
Aus der Fotografie Installation von Thomas Wrede im Rahmen des interdisziplinären Kunst und Wissenschafts Projekts Thingstätten Erinnerungskultur Nationalsozialismus
Zeitungsartikel Letmathe historisch