Transkript Westart Thingstätten
Würden wir ein Konzert anders wahrnehmen, wenn wir wüssten, dass es auf einem ehemaligen Nazibau stattfindet? Das ist eine spannende Frage: Grönemeyer auf der Waldbühne zum Beispiel.
Das hier ist eine sogenannte „Thingstätte“, erbaut von des Nazis, kulturell aber nie wirklich genutzt. Ein groß angelegtes Kulturprojekt, inklusive Fotoband, schaut sich diese merkwürdigen Orte, von denen es einige gibt bei uns im Westen, genauer an.
Wenn Superstars auf der Berliner Waldbühne riesige Konzerte geben, oder Winnetou und Old Shatterhand in Bad Segeberg Krieg spielen, wissen die meisten Zuschauer nicht, wer hier diese Orte einst geschaffen hat.
Zitat Goebbels:„In hunderten von Jahren noch, werden sie Menschen an diesen steilen Steinen, die Gestaltungskraft unserer Zeit ablesen können.“
Circa 60 sogenannter „Thingstätten“ wurden zwischen 1933 und 1936 von den Nationalsozialisten als propagandistische Versammlungsplätze erbaut. Und sie existieren bis heute, wie die Freilichtbühne in Mülheim an der Ruhr. 1935 fertiggestellt und mit Shakespeares Sommernachtstraum eröffnet, diente sie den Nazis als pathetische Kulisse, um Volksgemeinschaft zu inszenieren.
Katharina Bosse: Die Idee war, einen Versammlungsort unter freiem Himmel zu errichten, der an eine Art imaginäres Germanentum anknüpfen sollte. Daher auch die Bezeichnung „Thingstätte“.
Die Fotografin Katharina Bosse will diese Orte neu erforschen, zusammen mit anderen. Für ihr Thingstätten-Projekt brachte sie Fotografen, Filmemacher und Wissenschaftler zusammen. Sie blicken in ihren Arbeiten auch auf das Zeitlose dieses durch die Geschichte belasteten Ortes und auch auf die Menschen dort.
Katharina Bosse: Was mich daran interessiert hat, sind die Fragen nach nationaler Identität, die ja auch in den letzten zehn Jahren nochmal eine ganz neue Bedeutung bekommen hat. Ich finde es gesellschaftlich wichtig, dass man eben auch mit künstlerischer Perspektive darauf schaut. Die Thingstätten sind deswegen so interessant für uns, weil sie überall sind.
Sogar in kleinen Gemeinden, wie Herchen an der Sieg. Fast märchenhaft verwunschen im Wald, liegt hier die ehemalige Nazi-Kultstätte. An diesen Ort brachte Katharina Bosse den amerikanischen Videokünstler Doug Fitch. Mit Schülerinnen aus Herchen kreierte der eine kultische Performance über eine tibetanische Gottheit, um den einstigen „Unort“ eine neue Energie einzuhauchen.
Katharina Bosse: Die Menschen, mit denen wir dann da in Kontakt traten, einem Lehrer von der Schule und die Schülerinnen, haben so von der Vergangenheit des Ortes erfahren Die Ehrenamtlichen vor Ort, die sich sehr stark für einen Aufarbeitung und auch Kennzeichnung des Ortes einsetzen, kriegen dadurch Bestätigung.
Bosse will die Menschen vor Ort ermutigen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. In diesem Projekt der Künstlerin Rebecca Hackemann können Passanten durch mobile RIesenferngläser zurückblicken.
Franz Kluwe, Herchen: Es gibt keine schriftlichen Unterlagen. Das ist alles vernichtet worden nach 1945. Wir haben Sachen aus der Napoleon-Zeit noch en masse gefunden, aber nichts aus der Zeit des dritten Reiches. Fort- hat es nie gegeben, natürlich hat es das gegeben.
Der Katalog, ist nur eine Säule des Groß-Projekts von Katharina Bosse. Auf einer Research-Seite im Internet sind alle aufgerufen sich aktiv zu beteiligen, neue Thingstätten zu entdecken.
Katharina Bosse: Die Grundfrage ist ja, was bedeutet es mir heute, wenn ich auf die Vergangenheit blicke. Das heißt, ich habe im gesamten Projekt immer diese Überlagerung der verschiedenen Zeiten und die Frage ist, wie bringe ich diese Überlagerungen zusammen.
Künstlerisch vielleicht so: auf die Steine der Thingstätte von Burg Vogelsang hat Bosse historische Aufnahmen projeziert, wie die Originalgesichter dieser im Krieg zerstörten Skulpturen. Gegenwart meets Vergangenheit.